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Absaufende Bundesbauten

Die Parlamentsbauten im Spreebogen sind nach einem Bericht des Finanzministeriums über eine halbe Milliarde Mark teurer als geplant. Untersuchungsausschuss zur Kostenexplosion gefordert

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

„Abgesoffen“ nennt man unter Bundestagsabgeordneten die euphemistische Umschreibung für Parlamantsgebäude, deren Baumaßnahmen und Kosten schief gegangen sind. 1993 etwa sprach die damalige Bauministerin Irmgard Schwaetzer (FDP) von „abgesoffen“, als nach einem Rheinhochwasser und Fehlern bei der Isolierung der begonnene Bonner Schürmann-Bau mit Wasser volllief und nicht weiter gebaut werden konnte. Knapp 200 Millionen Mark Mehrkosten musste der Steuerzahler für die Bauruine berappen. Die damalige Präsidentin der Bundesbaudirektion Barbara Jakubeit räumte 1994 ihr Amt, weil sie in der Hochwasseraffäre nicht die „Absaufmadam“ für Schwaetzer spielen wollte.

Jetzt spricht man im Bundestag wieder von „abgesoffen“. Der Grund: Die Parlamentsbauten rund um das Reichstagsgebäude kosten über eine halbe Milliarde Mark mehr als geplant. Die Sprecherin des Finanzministeriums, Maria Heider, bestätigte einen Bericht ihres Hauses an den Haushaltsausschuss des Bundestages und die darin enthaltene Summe. Zum einen, so Heider, habe die Verzögerungen bei der Fertigstellung der Gebäude zu Mehrkosten geführt. Zum anderen seien für die Kostenexplosion um 590 Millionen auf 3,44 Milliarden Mark im wesentlichen Schwierigkeiten beim Bau der im Grundwasserbereich liegenden Gebäude verantwortlich gewesen. „Die Baugruben sind abgesoffen“, sagte Heider.

Zeitungsberichte hatten unter Berufung auf den parlamentarischen Staatssekretär Karl Driller am Wochenende gemeldet, die Neu- und Umbauten im Parlamentsviertel kosteten den Steuerzahler 590,6 Millionen Mark mehr als erwartet. Unter anderem listete der Staatssekretär folgende Summen auf: Für den Umbau des Reichstagsgebäudes müssen statt 600 nun 607 Millionen Mark veranschlagt werden. Das Jakob-Kaiser-Haus mit den meisten Abgeordnetenbüros kostet statt 900 Millionen Mark jetzt 1,154 Milliarden Mark und das benachbarte Paul-Löbe-Haus ist um 88,3 auf 635,3 Millionen Mark geklettert. Das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus für die Bundestagsbibliothek kostet 85,9 Millionen Mark mehr und damit insgesamt 414,3 Millionen Mark. Die unterirdischen Verbindungtunnel zwischen den drei Parlamentsbauten und dem Reichstag verteuern sich von rund 80 auf 111,7 Millionen Mark. Schließlich stiegen auch die Kosten für das Bundeskanzleramt: von ursprünglich geplanten 398,5 Millionen Mark auf nunmehr 513.3 Millionen Mark.

Die hohen Kosten sind nach Ansicht der Eichel-Sprecherin Besorgnis erregend, zumal die Bundesbaugesellschaft Berlin (BBB), die die Neubauten im Spreebogen umgesetzt hat, noch mit einer großen Zahl von Firmen über die Abrechungen im Streit liegt. Dennoch, so Heider, liege die zusätzliche Summe unter der Marge der im Baubereich üblichen Steigerungen von 20 Prozent.

Für den Geschäftsführer der FPD-Bundestagsfraktion, Jürgen Koppelin, soll ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss die Kostenexplosion klären. Der Bundestag, sagte Koppelin am Sonntag, solle sich nicht davor scheuen, das Gremium einzurichten, da noch mit weiteren Mehrkosten „von bis zu einer Milliarde Mark“ zu rechnen seien. Verantwortlich für die Mehrkosten machte er die Bundenbaugesellschaft und deren schlechtes Management. Die BBB und deren Aufsichtsgremien hätten „total versagt“.

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