: „Sie denken, wir hassen Amerika, dabei lieben wir es“
Die schwarzen Muslime in den USA haben Angst, für Terroristen-Freunde gehalten werden. Grund: kritische Äußerungen von Louis Farrakhan von der Nation of Islam
WASHINGTON taz ■ Als Mustafa al-Amin in der vergangenen Woche CNN einschaltete, traute er seinen Augen und Ohren nicht: Louis Farrakhan stellte den Krieg gegen Afghanistan in Frage. Der charismatische Wortführer der muslimischen Organisation Nation of Islam forderte zudem Präsident Bush auf, die Beweise gegen Ussama Bin Laden endlich zu veröffentlichen und sich nicht weiter hinter nationaler Sicherheitsrhetorik zu verstecken. „Ich war bestürzt“, sagte al-Amin. Die Mehrheit der schwarzen Muslime teile seine Haltung nicht.
al-Amin ist Autor eines Buchs über den Islam in den USA. Er arbeitet als Lehrer an einer öffentlichen Schule in Newark im Bundesstaat New Jersey. Vor 30 Jahren ist er zum Islam konvertiert. Wie viele andere schwarze Muslime, verließ er die zu liberale Nation of Islam in den 70er- Jahren und wechselte zum traditionellen Islam. „Die Menschen denken, wir hassen Amerika“, sagt er. „Wenn also Farrakhan solche Aussagen macht, bedient er diese Vorurteile.“ In Wahrheit würden schwarze Muslime „Amerika lieben“. Und: „Auch wenn sich die Terroristen Muslime nennen, sie sind es nicht“.
Keine andere religiöse und ethnische Gruppe in den USA sieht sich seit den Terroranschlägen in einer unglücklicheren Lage wie die schwarzen Muslime.
Der Streit der Muslime
Wie al-Amin fühlen sich viele von Farrakhans wütenden Reden verraten. Zudem erhalten arabische Einwanderer in den Medien jetzt eine viel größere Aufmerksamkeit und prägen das öffentliche Bild vom Islam. In dieser Situation fällt die eher schweigende Mehrheit der rund zwei Millionen orthodoxen schwarzen Muslime nicht ins Gewicht. „Schwarze Muslime sind unauffälliger denn je“, sagt der Islamkenner Aminah Beverly McCloud.
Doch lange bevor der Islam in die Schlagzeilen kam, gab es Spannungen zwischen den muslimischen Gruppen. Zum Bruch kam es im vergangenen Herbst, als eine Koalition prominenter Araber in den USA die Kandidatur des Republikaners George W. Bush als Präsident unterstützte. Das brachte die schwarzen Muslime gegen sie auf. Zur gleichen Zeit stellten schwarze Muslime die Existenzberechtigung der Nation of Islam in Frage.
Auch wenn Farrakhan seit Jahren versucht, sein Auftreten stärker mit dem orthodoxen Islam in Einklang zu bringen, behauptet die Nation of Islam weiterhin, dass ihr Gründer ein Prophet Allahs sei – Blasphemie in den Augen strenggläubiger Muslime.
Viele arabische Einwanderer schütteln zwar den Kopf über die Nation of Islam, begrüßen aber Farrakhans Rhetorik, wenn er Israel und die amerikanische Außenpolitik verurteilt. Schwarze Muslime wie der Lehrer al-Amin empfinden jedoch seit dem 11. September ein noch stärkeres Unbehagen gegenüber der Nation of Islam und auch gegenüber eingewanderten Muslimen.
Vor 30 Jahren gab es 500.000 amerikanische Muslime. Seit rund 20.000 Amerikaner jährlich zum Islam übertreten und ständig neue Muslime aus Asien, Afrika und dem Nahen Osten einwandern, ist der Islam die am stärksten wachsende Religion in den USA. Nach Schätzungen leben hier bereits zwischen 6 und 10 Millionen Muslime – mehr als Amerikaner jüdischen Glaubens.
Die größte Einzelgruppe der Muslime sind nach wie vor die Schwarzen. Ihr Problem: Obwohl Farrakhan mit seiner Nation of Islam nur für eine Minderheit der schwarzen Muslime spricht (25.000 Mitglieder) gilt er in der öffentlichen Wahrnehmung als Führer der größten muslimischen Gemeinde in den USA.
In Wahrheit ist der Großteil der schwarzen Muslime Mitglied in der Amerikanischen Muslimischen Gesellschaft. Ihr religiöser Führer, Imam W. Deen Muhammad, gehörte früher selbst der Nation of Islam an, viele Anhänger folgten ihm nach einem Streit mit Farrakhan in die neue Organisation. Farrakhan versuchte die Erosion aufzuhalten, indem er die Nation of Islam näher an den traditionellen Islam heranführte. Experte McCloud vermutet, dass es zwischen beiden kaum noch Differenzen gibt. „Sie beten fünfmal am Tag und fasten im Ramadan.“
Doch während Louis Farrakhan feurige Reden liebt, gibt sich W. Deen Muhammad leise patriotisch. Mit öffentlichen Äußerungen hält er sich zurück. Sein geringes öffentliches Auftreten habe das Führungsvakuum innerhalb der schwarzen Gemeinde vergrößert, sagt Aminah McCloud.
Seit dem 11. September wird jedenfalls die Religion allerGruppen mit Terrorismus in Verbindung gebracht. Buchautor al-Amin beobachtet, dass dies die Spannungen verschärft hat.
Eingewanderte Muslime hätten sich auch vor den Anschlägen nicht deutlich genug von terroristischer Gewalt im Nahen Osten distanziert. Schwarze Muslime seien zunehmend frustriert, dass sie mit den Arabern gleichgesetzt würden. Sie sehen die über Jahre aufgebaute Toleranz in der normalen Bevölkerung allmählich schwinden.
MICHAEL STRECK
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