piwik no script img

Pragmatisch, neu, smart

Richard Shusterman liest heute aus seinem neuen Buch „Philosophie als Lebenspraxis“

Es gibt da diesen Satz über die Propheten im eigenen Land. Oft trifft er zu. Viele europäische Denker konnten erst dann am Markt der Ideen reüssieren, als sie unter dem amerikanischen Emblem „Continental Thought“ eine Aura des Wilden umgab. Für den Philosophieexport in umgekehrter Richtung galt dasselbe.

Richard Shusterman wundert sich gelegentlich noch darüber. Obwohl in den USA noch niemals zum Interview gebeten, ist er längst ein gern gesehener Gast im deutschen Konferenzbetrieb. Immer adrett gekleidet, wurde der smarte Professor aus Philadelphia zum Handlungsreisenden in Sachen eines amerikanischen Markenprodukts namens „Neo-Pragmatismus“. Als 1994 „Pragmatist Aesthetics: Living Beauty, Rethinking Art“ unter dem deutschen Titel „Kunst Leben“ erschien, erregte seine Machart Aufsehen im akademischen Einerlei. Shusterman betätigte sich als ein cleverer Bricoleur, der die Kunstauffassung John Deweys, den Wahrheits-Skeptizismus Richard Rortys und die foucaultsche Ästhetik des Selbst zusammenflickte. Als roter Faden dienten HipHop-Lyrics, anhand derer sich die körperliche Erfahrung, die soziale Einbettung sowie das Prozessuale gelebter Kunst sehr elegant zeigen ließen. Doch Shustermans Plädoyer für die „aneignende Verwandlung“ von Objekten (das Sampling!) lastete danach wie ein Fluch auf seiner Credibility. Die wahren Rap-Connaisseure warfen ihm vor, er befördere mit seinem Versuch, den „Bodyrock“ zu theoretisieren, den Ausverkauf einer schwarzen subalternen Praxis. Und Kollegen wie Pierre Bourdieu rückten ihn in die Nähe der Cultural Studies, deren teilnehmenden Blick auf Alltagskultur sie für einen modischen Irrweg hielten.

Richard Shusterman hat daraufhin sein Interesse an einem körperpolitischen „pursuit of happiness“ noch feiner ausgearbeitet. Unter dem neuen Label „Somästhetik“ möchte er nun eine Disziplin begründen, die Erfahrungen durch z. B. Yoga, Body Building, Tai Chi, Drogenkonsum oder Sex analysiert und danach fragt, wie durch diese Glückstechnologien individuelle Lebensweisen und soziale Gemeinschaften reguliert werden.

Seiner Ansicht nach eine wichtige Lücke: „Eine sehr traurige Merkwürdigkeit der zeitgenössischen Philosophie besteht darin, dass sie so viel Fleiß darauf verwendet hat, die Seinsweise und Erkenntnistheorie des Schmerzes zu erforschen, anstatt auch sein psychosomatisches Management, seine Beherrschung und Umwandlung in ruhige Gelassenheit oder Vergnügen in den Blick zu nehmen.“

Shusterman stellt heute sein Buch „Philosophie als Lebenspraxis“ vor, das neben dem Neo-Pragmatismus auch Fragen zu jüdischer Identität behandelt. Es ist seine Rückkehr nach Berlin, wo er 1995/96 als Gastdozent an der FU arbeitete und eine urbane „Ästhetik der Abwesenheit“ vorfand: ein Ausdruck, den er vom kürzlich verstorbenen Dietmar Kamper geborgt hat. Auch so ein Prophet, der im eigenen Land immer ein wenig Fremdkörper blieb. JAN ENGELMANN

20.30 Uhr, Juliettes Literatursalon, Gormannstr. 25, Mitte

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen