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„Marx bewacht Lenin“

Heute vor zehn Jahren wurde mit dem Abriss des Lenin-Denkmals begonnen. Der „Bildersturm“ spaltete die Stadt. Der Granit-Koloss ruht bis dato im märkischen Sand und wartet auf Auferstehung

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

In Rettungskampagnen geschult und mit Erfahrung ausgestattet, startete die taz-berlin Ende 1991 einen Aufruf. In dieser „schweren Stunde“, schrieben damals die besorgten Redakteure, müssten wieder einmal die LeserInnen Hilfestellung geben, wie es weitergeht. „Lenin ist tot. Enthauptet. Wohin mit dem abgebauten Riesendenkmal? Einstweilen, so hören wir, werden die Einzelteile von Wladimir Iljitsch im Köpenicker Stadtforst zwischengelagert, aber wohin anschließend?“

Die Kampagne „Ein Platz für Lenin! LeserInnen helfen. Was soll mit Wladimir Iljitsch geschehen?“, mobilisierte die taz-Leserschaft, hatte doch die am 8. November 1991 zum Bildersturm freigegebene 19 Meter hohe rote Granitskulptur im Ostberliner Stadtteil Friedrichshain die Stadt zerstritten. Die Vorschläge zur Rettung der abgetragenen Figur waren deshalb Legion und reichten von der hüfthohen Versenkung des Kolosses im Wannsee bis hin zur Grablegung im Moskauer Mausoleum, „wo im Gegensatz zur Lenin-Mumie ja kein Konservierungsaufwand nötig ist“.

Genutzt hat es nichts. Die Rettungsideen ließ die zuständige Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung kalt. Bis dato ruhen die 125 Granitblöcke des sowjetischen Bildhauers Nikolai Tomski in der Seddiner Grube im Müggelheimer Wald – schön mit Sand zugeschüttet und ironischerweise bewacht von einem Oberförster mit dem Namen Marx. „Marx bewacht den Lenin“, bemerkt heute süffisant der Kunsthistoriker Eberhard Elfert, der sich 1991 mit der „Initiative politische Denkmäler in der DDR“ für den Erhalt der Lenin-Plastik eingesetzt hatte. Der Abriss der massigen Skulptur bedeute nach wie vor den Verlust „eines historischen Zeugnisses der DDR-Lenin-Rezeption in den 70er-Jahren“. Verantwortlich dafür sei die Entsorgungsmentaltät Westberliner Politiker im Umgang mit dem ungeliebten sozialistischen Erbe gewesen. Diese habe nicht auf die Akzeptanz und Sinngebung kunsthistorischer Pathosformeln und Dokumente gezielt, in denen sich der spezifische Zeitgeist widerspiegele.

Der Abriss des Genossen Lenin am 8. November 1991 zielte stattdessen auf den Bruch mit der Geschichte und hat die tiefe emotionale Ost-West-Spaltung in der Stadt kurz nach dem Mauerfall symptomatisch vor Augen geführt. Fadenscheinig machte der damalige Stadtenwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) im Vorfeld öffentliches Interesse geltend Lenin abzureißen. Die Abtragung des Denkmals sei „eine Fortsetzung und damit Bestandteil der 1989 eingeleiteten Revolution“. Es sei somit allgemeiner Wille, Lenin von der Denkmalliste zu streichen. Das Symbol eines „diktatorischen Regimes“, sekundierte Landeschef Eberhard Diegen (CDU), müsse verschwinden, auch weil Berlin keine Stadt sein könne, „in der Lenin noch Straßen und Plätze ziert“.

Kaum hatte Hassemer den roten Götzen, dessen Aufstellung 1970 Walter Ulbricht als „Sieg des Sozialismus“ bezeichnete, im Herbst 1991 von der Liste gestrichen, gingen Anwohner, Denkmalschützer, Künstler und Teile des Friedrichshainer Bezirkspalaments auf die Barrikaden. Unterschriftensammlungen von Anwohnern und Aktionen des „Büros für Ungewöhnliche Maßnahmen“ machten die Runde, die „Initiative politische Denkmäler in der DDR“ veranstaltete eine Ausstellung, Künstler schlugen vor, Lenin vom Verpackungskünstler Christo umhüllen zu lassen. Als Proteste im Abgeordnetenhaus von PDS und Grüne nichts nutzten, platzierten sich drei Tage vor dem Abriss Mahnwachen vor dem Denkmal. „Auch Lenin ist Ausländer, stoppt seine Hinrichtung“, lautete eine Losung. Leicht machte es Lenin den Exekutionsfirmen nicht. Nachdem am 8. November erst Löcher in den Granit gebohrt und Stahlnägel in dessen Gehirn getrieben wurden, um die einzelnen Teile per Kran abzuheben, blockierte die Figur ihre Enthauptung: Beifall der Schaulustigen, Gelächter der Demonstranten und hilflose Arbeiter waren die Folge.

Tomski hatte die Figur mit superhartem Beton ausgegossen, erst fünf Tage später konnte das Haupt vom Rumpf mit einer stählernen Halskause gehoben werden. Über einen Monat dauerte die Demontage. Eine Abrissfirma gab auf, konnte sie doch die Granitsteine nicht vom Betonkern trennen. Erst mit Hilfe bayerischer und norddeutscher Hydraulik-Spezialunternehmen ließ sich die Monumentalplastik zerlegen. 500.000 Mark kostete der „Leninsturz“, den das letzte Plakat am Bauzaun zugleich als „Abriss der DDR“ geißelte.

Zehn Jahre nach dem Bildersturm verbucht Elfert den Lenin-Streit dennoch als Erfolg. Der lautstarke Diskurs über Abriss oder Erhalt habe zu einer produktiven Debatte über den Umgang mit politischen Denkmälern in Berlin geführt. Bis auf wenige sozialistische Plastiken, die im Stadtraum abgeräumt wurden, habe die 1991 eingesetzte Denkmalkommission sowie die Initiative selbst die meisten damals von der Schleifung bedrohten Skulpturen retten und ihren Standort sichern können: darunter die Skulptur des „Spanien-Kämpfers“ (1968) von Fritz Cremer an der Friedenstraße oder den monumentalen Thälmann-Kopf an der Greifswalder Straße.

Dass heute Lenin „archäologisch konserviert“ im märkischen Sand ruht, beunruhigt Elfert nicht, eröffnet dies doch die Möglichkeit der Wiederaufstellung. Aber wann? „Wenn es die Zeit zulässt.“ Und man vielleicht ein Einsehen hat mit dem „städtebaulichen Loch“, wie man in der Bauverwaltung den zugigen Platz der Vereinten Nationen bezeichnet, wo anstelle der Skulptur nun ein Springbrunnen plätschert. Denn der verwässert den Geist Lenins dort nicht.

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