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Fröhlicher Zombie-Tanz

Wahnsinnig: Die Baktruppen stürmen Kampnagel  ■ Von Ivo Andric

Es gibt keine europäische Theatergruppe, um die sich mehr Mythen und Legenden versammeln, als um die norwegischen Baktruppen. Als sie auf einer ausgedehnten China-Tour einmal Zuschauer in Shanghai verführen wollten, schickten sie die Leute mit einem riskanten Auftrag aufs Land. Dort sahen sie zwei Frauen, die ein großes Tuch schwangen. Sie sahen auch ein Rad, das von vier Jungen gedreht wurde und einen Mann, der sie bat, Leben in den Hintern eines Pferdes zu blasen. Auf die Frage, was das alles zu bedeuten habe, antworteten ihnen die Menschen: „Die beiden Frauen sind diejenigen, die erschaffen und zerstören. Das Rad ist das Jahr und die vier Jungs sind die vier Jahreszeiten. Und der Mann ist das Geld – und das Pferd sieht einfach gut aus.“

Baktruppen heißt auf norwegisch, in Anlehnung an militärischen Jargon, die Nachhut. Die Theatergruppe verabschiedet sich damit von dem alten Programm, das alles Neue und Revolutionäre in der Kunst ganz vorne stattfindet, in der Avantgarde, der Speerspitze der inzwischen anerkannten bürgerlichen Kultur.

Die Baktruppen sind Bilder- und Ideologie-Zerstörer ersten Ranges, sie hassen alle gängigen Standards der etablierten Theatersprache und führen seit nunmehr 15 Jahren einen Kampf gegen die festgefahrerenen Strukturen des Bühnenbetriebes. Das Theater der Baktruppen sind Abende voller verspielter und diskreter Serien von Ereignissen. Ihre Theatersprache kennt keine Hierarchien. Ein Text ist genauso wichtig wie die Musik, hat den selben Stellenwert wie Tanz, Licht oder Bühnentechnik. Sie arbeiten ohne Regisseur, ohne das abgesicherte Hinterland eines dramatischen Textes. Sie verzichten auf Rollenspiele und verabscheuen die edle und zynische Augenzwinkerei des Staatstheaters.

Die Baktruppen würden nie ein Stück über etwas machen, das man besser als Buch schreiben, als Vortrag oder CD herausbringen könnte. Der destruktive Charakter der Baktruppen ist fröhlicher Natur, er zerstört, um wieder aufzubauen. Ihre theatralen Überschreitungen des guten Geschmacks und der festgefahrenen Erwartungshaltung eröffnet eine funkelnde Welt, eine Welt ohne Schatten.

Der Frankfurter Theaterwissenschaftler Hans Thies Lehmann hat einmal die Minimaldefinition von Theater gegeben: „Es ist ein Raum ohne Fenster“. Sogar mit diesem Axiom brechen die Baktruppen. In ihrem 40-minütigen Best-Of Stück Super Peer reißen sie die Türen aus den Angeln und schlagen Löcher in die Wände. Das Stück beginnt mit einem kurzen Begrüßungstext an das Publikum und dem schlichten Satz: „...but first I will fire a canon“. Eine lange Lunte brennt durch den gesamten Theaterraum und entzündet mit lautem Knall eine goldene Kanone. Der beste vorstellbare Anfang eines Stückes.

Und immer noch brechen die Baktruppen mit Erwartungen und dramaturgischen Standards. Nach dem fröhlichen Super Peer und dem humorvollen Good Good Very Good, in dem sie live Alkohol des-tilierten und das hochprozentige Ergebnis an das Pub-likum weitergaben, folgte das Stück spekt, das sich mit Oslo und seinen Bewohnern auseinandersetzt. Zu Beginn der Show schlucken die Darsteller Schlaf-tabletten. Sie packen Highlights und Pointen an den Anfang des Stückes und schlafen dann zu einem selbstkompo-nierten Dub-Sound-track einer nach dem anderen ein.

Für ihr aktuelles Stück Eurohea? haben die Baktruppen einen bekannten norwegischen Autor durch Europa geschickt. Mit einem Minidisc-Player ausgestattet, brachte er Texte über die Europäische Union und die noch immer sichtbare Verstrickung der Königshäuser zurück. Aber die Theatergruppe zieht einen präzisen Einzeiler immer noch einem Berg an Text vor, also haben sie daraus ein europakritisches Stück mit Death Metal, Zombiefilmen und Hardcore Puppentheater konstruiert. Eurohea? wird brennen, bis die Metallträger auf Kampnagel schmelzen und die Theaterfabrik alle Beteiligten unter sich begräbt.

heute und morgen, 21 Uhr, Kampnagel (k2)

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