: Leben unter israelischer Besatzung
Drei Wochen lang stand die palästinensische Stadt Ramallah unter der Kontrolle der Armee. Es herrschte Ausgangssperre, Berufstätige konnten nicht nach Hause, Einkaufen ging nur alle paar Tage. Jetzt sind die Soldaten wieder abgezogen
aus Ramallah SUSANNE KNAUL
Eine dicke Staubschicht bedeckt die Gartenstühle des Best Eastern Hotels in Ramallah. Seit drei Wochen hat auf dieser Terrasse kein Gast mehr einen Kaffee getrunken. Das 12-köpfige Personal, das zum Teil von der Besatzung der palästinensischen Stadt im Westjordanland durch die israelische Armee überrascht wurde und nun im Hotel festsitzt, hat in diesen Tagen nicht viel mehr zu tun, als die Pflanzen zu gießen. Die Palmen und Sträucher, die die Tische von der Straße trennen, sind in der gesamten Gegend der einzige grüne Fleck.
An der Ajosch-Kreuzung im Norden Ramallahs sieht es trostlos aus. Gegenüber des Hotels liegt ein Schutthaufen. Bis die israelischen Soldaten kamen, war dort ein Kommando der „Force 17“ stationiert, der Leibwache von Palästinenserpräsident Jassir Arafat. „Die Sicherheitsleute sind ohne jede Gegenwehr weggelaufen“, berichtet Jamal Rabah, der von seiner Wohnung aus das traurige Schauspiel verfolgen konnte. „Der Jeep der Force 17 steht noch immer hinter dem Hotel. Sie haben sich noch nicht hergetraut, um ihn zu holen“, lächelt er.
Jamals Wohnung liegt nur ein paar Stufen hoch in einem der wenigen Ein-Familien-Häuser in dieser Gegend, wo sonst nur mehrstöckige Bauten stehen. Die meisten Wohnhäuser sind seit drei Wochen leer. Auch Jamal war bis vor zwei Tagen bei seiner Mutter, die am anderen Ende der Stadt wohnt. „Ich wollte nicht hier bleiben, denn manchmal kommen die Soldaten mitten in der Nacht und durchsuchen die Häuser.“
Um 5.00 Uhr morgens kamen die Panzer und postierten sich an der Al-Ajosch-Kreuzung mitten auf der Hauptstraße, die von Ramallah nach Bir Zeit führt, der größten Universität in der Gegend. Die Militäraktion folgte auf den Mordanschlag auf den israelischen Tourismusminister Rechawam Seewi, der in einem Jerusalemer Hotel von Aktivisten der palästinensischen Widerstandsorganisation PFLP erschossen worden war. Ramallah ist eine von insgesamt sechs Städten, in die die israelischen Soldaten einzogen, um erklärtermaßen die Hintermänner für das Attentat dingfest zu machen.
An der Ajosch-Kreuzung verlief die Invasion ohne großen Widerstand, was in anderen Orten nicht so war. Insgesamt verloren in den vergangenen drei Wochen über 50 Menschen ihr Leben.
Ein kleiner Demonstrationszug nähert sich aus Ramallah kommend der Kreuzung. Vielleicht 50 Menschen, Studenten und Professoren aus Bir Zeit, die mit englischen Plakten gegen die Besatzung protestieren. „Wir sind unbewaffnet und friedlich“, ruft eine Frau durch ihre Flüstertüte den Soldaten zu. Einer der Panzer setzt sich in Bewegung, die Soldaten schießen – mit scharfer Munition. Die Schüsse schlagen nur wenige Meter neben der Gruppe ein. Die Demonstranten sind verängstigt, bleiben aber zusammen. Langsam ziehen sie an den Soldaten vorbei, die die Panzer immer wieder mit einem beängstigenden Lärm neu positionieren, aber nicht mehr schießen.
Moawad Shukri, Manager im Best Eastern Hotel, beobachtet den Demonstrationszug. „Es ist das zweite Mal, dass so etwas stattfindet“, sagt er. In der Regel sei es ruhig. Nur manchmal komme es nachts zu Zwischenfällen mit Demonstranten aus Ramallah. Auf den Straßen deuten Patronenhülsen, Gummigeschosse und die Überreste brennender Reifen auf heftige Auseinandersetzungen.
Shukri traut sich seit drei Wochen nicht aus dem Hotel – von den kurzen Unterbrechungen der Ausgangssperre abgesehen. „Man weiß nie, ob sie schießen“, erklärt er seine Vorsicht. Alle zwei bis drei Tage werde die Ausgangssperre für eine Stunde aufgehoben, damit die Leute Einkäufe erledigen können. Die Soldaten kündigen das mit Lautsprechern an.
„Wir sind ein Hotel und haben große Vorräte“, sagt Shukri, der im Moment außer dem Personal nur vier Gäste zu versorgen hat. Die restlichen 95 Zimmer stehen leer. Nicht die Versorgungslage sei das Problem, sondern dass man sich nicht frei bewegen könne.
Jamal Rabah von gegenüber kennt das Hotelpersonal sehr gut, denn er ist aus derselben Branche. Bis vor einem Monat war er Koch im Jerusalemer American Colony Hotel. Nach über acht Jahren gab er seine Stelle auf, um in diesen angespannten Wochen bei seiner Familie sein zu können. Er plant, ein eigenes Restaurant in Ramallah aufzumachen.
Die beiden größeren Töchter des Kochs gehen trotz der Ausgangssperre noch täglich in die Schule. Jamal holt sie mit dem Auto ab, nachdem er sich vergewissert hat, „dass die Panzer nicht auf dem Weg dorthin stehen“. Einige Kinder gehen ganz allein den gespenstisch verlassenen Weg über die Kreuzung zu ihren Häusern in der Besatzungszone. Jamals jüngere Tochter könnte sich das überhaupt nicht vorstellen. „Sie hat ständig Angst und will immer nur bei der Mutter schlafen“, sagt Jamal.
In der Nacht zum Mittwoch zogen die Israelis ihre Truppen aus Ramallah ab und stationieren sich in der so genannten B-Zone, die unter israelischer Sicherheitskontrolle steht und unbewohnt ist. Die „Force 17“ kann ihr Quartier an der Al-Ajosch-Kreuzung wieder aufbauen. Beide Seiten hätten sich zuvor darauf geeinigt, dass die Palästinenser die Garantie für Ruhe in der Gegend übernehmen und weitere Terroranschläge verhindern, hieß es in einer Mitteilung der Armee. Verteidigungsminister Benjamin Ben-Eliesar ließ keine Missverständnisse zu: Wenn die Palästinenser diese Bedingung nicht erfüllen, würden die israelischen Soldaten zurückkommen.
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