Die abschließende Verletzung

Die Debatte um die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter ist noch nicht beendet: In einer Berliner Veranstaltungsreihe lassen Verhandlungsteilnehmer hinter die Kulissen blicken. Sorge um die zweite Rate

BERLIN taz ■ Trotz allem ist Ludwik Krasucki ein Mann mit Humor. Der Holocaust-Überlebende, der für die polnische Delegation an den Entschädigungsverhandlungen für NS-Zwangsarbeiter teilnahm, erzählt gern folgende Anekdote: Nächtens habe ein Mitglied der deutschen Delegation gebeten: Es ist schon spät, lassen Sie uns jetzt klar Wort gegen Wort verhandeln. Darauf habe Krasucki geantwortet, es sei zu spät für Wort gegen Wort: Lassen Sie es uns mit Witz gegen Witz versuchen. Nein, habe der amerikanische Vertreter Stuart Eizenstat eingeworfen, dann werden die Deutschen verlieren.

Ludwik Krasucki aus Polen und Felix Kolmer aus Tschechien, beide ehemalige jüdische Sklavenarbeiter, waren vergangenen Mittwochabend als Redner der Berliner Reihe „The final insult – Die letzte Nötigung, die finale Beleidigung, die abschließende Verletzung“ eingeladen.

Krasucki musste zunächst im Konzentrationslager Stutthof in der „Waldkolonne“ für die SS Bäume roden. Später schuftete er im Kanalbau. Kolmers Aufgabe bestand darin, als Tischler im KZ Theresienstadt Galgen für seine Mitgefangenen zu fertigen. 1944 wurde er nach Auschwitz deportiert.

Felix Kolmer hat seit Mai 1999 an den Entschädigungsverhandlungen teilgenommen. Zu Beginn sei er der einzige Opfervertreter gewesen, berichtet der Physikprofessor aus Prag: „Ich habe noch nie solche Verhandlungen gesehen.“ Der Bürokratismus, mit dem vor allem die Delegation der deutschen Industrie die Leiden der Opfer habe aufrechnen wollen, sei „unmenschlich“ gewesen: „In diesen Situationen hatte ich das Gefühl, noch immer ein Häftling zu sein.“ Die Einigung auf die Entschädigungssumme von 10 Milliarden Mark habe er als „Kuhhandel“ empfunden.

Auch Ludwik Krasucki findet scharfe Worte. Ein „Paradox der schrecklichen Bürokratie, auf die wir treffen“, sei, dass ausgerechnet er oft in Deutschlands Interesse habe verhandeln müssen. Schließlich sei die Stiftung „eine Chance für Deutschland“, was den Industrievertretern aber oft nicht klar sei: „Es ist schwierig, nach über 55 Jahren über Pfennige zu diskutieren, wenn man die Erfahrung im Gedächtnis hat.“ Gerade im Hinblick auf die Umtauschverluste der polnischen Zahlungen von Mark in Zloty sei die Stimmung in Betroffenenversammlungen in Polen „wild“, er müsse dort mäßigend wirken. Die Schuld an dem Wechseldesaster, das auf Grund eines historisch schlechten Kurses hohe Verluste einbrachte, sieht er auf deutscher Seite.

Die nächsten Komplikationen sind laut Krasucki schon programmiert: So sei immer noch nicht wirklich klar, was mit dem Geld aus dem Zukunftsfonds der Stiftung passiere. Weiterhin sei zu erwarten, dass sich die Auszahlung der zweiten Rate der Entschädigungen um mindestens ein Jahr verspäten werde.

Mit Blick auf die Zukunft des Fonds meint Krasucki ironisch: „Ich bin nicht optimistisch, ich bin nicht pessimistisch, ich bin einfach alt.“ MICHAEL DRAEKE

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