Von Billy zur Bücherburg

Pfiffige Wohnlösungen mit schlichten und praktischen Regalen, die dennoch nicht zum Wegwerfen gedacht sind  ■ Von Gernot Knödler

Kennen Sie Billy? Jeder kennt Billy. Das Stichwort reicht aus, ganze Wohnungen und deren Bewohner zu charakterisieren. Dem Verfasser bereitete es nicht unerhebliche Schwierigkeiten, weil er Billy – Pressspan mit weißem Plas-tikfurnier – stets mit Ivar – aus Fichtenholz mit Lochschmuck, ebenfalls aus dem Hause Ikea – zu verwechseln pflegte.

Seis drum: Das Alter oder der Wunsch nach Abwechslung lassen bei manchen den Wunsch nach anderen Regalen keimen, nach besonders schönen, besonders praktischen, besonders passenden. Jemand, der in solchen Fällen helfen kann, ist Stephan Ibelher, Inhaber einer Möbeltischlerei in der Ruhrstraße. Ikea hat er gefressen.

Was ihn stört, ist die Wegwerf-Mentalität, die das Konzept der Schweden begünstigt. „Die Sachen sind so billig, dass sie den Leuten egal sind“, glaubt Ibelher. Was nicht mehr gefällt, landet auf dem Sperrmüll, selbst wenn Uneingeweihte den Unterschied zwischen der neuen und der alten Schrankwand, Couch, Einbauküche glatt übersehen. „Dafür wird dann die Umwelt belastet, werden Wälder gerodet“, ärgert sich Ibelher.

Zu ihm in die Tischlerei kommen vor allem Leute, die ihre Wohnung umgestalten oder die sich langfris-tig in einer Wohnung einrichten wollen und deshalb maßgeschneiderte Regale suchen. Der Trend, bestätigt Ibelhers Eimsbütteler Kollege Marko Sikora, gehe dabei zum Leichten und Filigranen. Der schlichte Stil der 60er Jahre sei wieder im Kommen.

Ibelhers Erfahrung zufolge verschiebt sich der Interessenschwerpunkt der Kundschaft vom Praktischen zum ästhetisch Ansprechenden: der feinen, ausgewogenen Gliederung. Viele, die sich heute ein Regal kauften, würden die Bretter eben nicht mehr so versetzen, dass die Bücher jeweils einer Größenklasse gerade eben reinpassten. Stattdessen bevorzugten sie Mus-ter: gleichmäßig, symmetrisch oder ausgefuchst.

Wer zum Beispiel die Abstände der Regalbretter zur Decke hin verringert, lässt die Wand höher wirken als sie ist. Ein Kunde Ibelhers wollte unbedingt ein allein durch die Waagerechte strukturiertes Regal. Der Tischler behalf sich mit einem Trick: Er klebte auf die Stützen Buchrücken. In einer anderen Wohnung verankerte er die Bretter in einer Gipskarton-Wand, sodass sie zu schweben schienen.

Ibelher unterscheidet zwischen gewöhnlichen Regalen und Bibliotheken, die besonderen funktionalen Gesichtspunkten genügen müssen. Wer irgendwann nicht mehr weiß, wohin mit seinen Büchern, lässt sich möglicherweise für eine Reihe verschiebbarer Regale erwärmen. Sie sind im Millimeterabstand voreinander aufgebaut, erlauben aber dennoch einen unkomplizierten Zugriff auf jedes Buch. Selbst große Möbelmarken führen einfache Ausführungen solcher Systeme in ihren Programmen.

Zu einer Bibliothek gehören auch Möglichkeiten, besonders schöne Bücher auf schrägen Ablagen oder in Vitrinen zu präsentieren. Das schützt die Bücher gegen Staub und vermeidet lästige Hausarbeit. Es sei selbstverständlich möglich, ein Regal komplett zur Schrankwand umzufunktionieren, sagt Sikora. Bloß wollen das die wenigsten. „Das Lagerverhalten wird von Kaufverhalten bestimmt“, glaubt Ibelher. So wie die Bücher vom Handel präsentiert werden, repräsentieren sie die Leute auch zu Hause.

Wer zu viele Bücher besitzt, kann aus den Regalen auch eine Wohnlandschaft bauen: Bücherburgen als Schutzräume für Lesende. Ähnliches hat es als Kunstwerk schon ins Museum geschafft. Frei im Raum stehende Regale bieten dabei den Vorteil, von beiden Seiten bestückbar zu sein. Der Platz, den die mit 30 Zentimetern meist viel zu tiefen Regalbretter bieten, wird auf diese Weise elegant ausgenützt.

Warum die Leute nicht einfach halb so tiefe Regale kaufen? Dazu fehle den meisten der Mut, meint Ibelher. Den schmalen Brettchen werde nichts zugetraut, obwohl sie selbst für viele gebundene Ausgaben locker ausreichen würden. Dafür bietet ein breites Regal die Möglichkeit, gewisse Bücher in der zweiten Reihe zu verstecken.