Hacken ablaufen für den Frieden

Seit Mitte Oktober rennen sechs Künstler, Tänzer und Studenten im Wechsel gegen den Krieg – entweder in einer Galerie oder durch die Straßen. Jeder ist eingeladen, an seine Belastungsgrenze zu gehen und selbst Kilometer zu spenden

Wie aufgezogene Figuren laufen die Performer in ihren blauen Anzügen durch die Räume in der Invalidenstraße 35. In einem Rhythmus von Wand zu Wand, von der einen zur anderen Ecke. Plötzlich ändern sich Laufwege und Richtungen, fast rennen die vier Künstler einander um. Mit gequälten Blicken stoppen sie für einen Augenblick ihre Bewegungen und schauen zur zentralen Projektionswand, auf der ihre bis dahin zurückgelegten Kilometer angezeigt werden. Ein System aus Lichtschranken zählt die Schritte. Insgesamt 284 Kilometer sollen heute erreicht werden – ein gutes Stück sind die Künstler noch von ihrem Ziel entfernt.

„Lauft gegen den Krieg!“ nennt Jekaterina Anzupowa ihre Performance und rennt sich dabei selbst die Hacken wund. Die leer stehenden Räume in der Galerie Rosinski sind mit ihren weiß getünchten, kahlen Wänden ideal für Happenings dieser Art. An drei Tagen in der Woche stellt der junge Galerist Max Grünig hier seit Juli eigentlich schwer verkäufliche Kunst aus. Für seinen Lebensunterhalt muss er nebenher arbeiten. Denn Folienobjekte, traumatische Zeichnungen und minimalistische Installationen brauchen ihr eigenes Publikum. Und bei einigen Aktionen, wie bei der derzeitigen Laufperformance, macht Grünig selbst mit.

Als das Bombardement in Afghanistan begann, habe man ein künstlerisches Ventil für seinen eigenen Protest gesucht, sagt Grünig. „Wir wollen irgendwie das Thema Krieg in die alltäglichen Gedanken der Leute zurückholen.“ Als Erinnerung, dass dies kein Herbst wie jeder andere sei. Eigentlich sollten auch Passanten mitrennen, aber deren Interesse ist bislang gering. Obwohl die Galerie an einer belebten Ecke in Berlin-Mitte gelegen ist, dort, wo die Invalidenstraße auf die Chausseestraße trifft, schauen die wenigsten durch die Schaufenster in die hell erleuchteten Galerieräume. Neuer Aktionismus in Berlin, zumal auf großen Schildern angekündigt, scheint Normalität zu sein.

Seit Mitte Oktober laufen die beteiligten sechs Künstler, Tänzer und Studenten im Wechsel gegen den Krieg. Und an fünf Tagen in jeder Woche verlassen zwei von ihnen die Galerieräume und legen ihre Kilometer innerhalb der Stadt zurück. Mit Jacken, auf denen das Logo der Aktion abgebildet ist, und überdimensionierten Wanderstäben überqueren die Künstler belebte Straßen und Plätze Berlins, um dort ihre Zettel zum „Kilometerspenden“ zu verteilen. Allerdings zeigte sich auch hierbei kaum jemand so spendabel, seine tagtäglich zurückgelegten Kilometer dem Frieden zu widmen.

Dennoch gibt es Tage, an denen sich Menschen zum Mitmachen aufgefordert fühlen. „Ein Mann lief sogar über anderthalb Stunden mit und verausgabte sich fast für die Aktion“, sagt Grünig. Das Gros der gespendeten 60 Kilometer erradelte bisher ein Fahrradkurier, den Rest bildeten kleinere „Beträge“. Bis jetzt bestehe auch kaum Interesse von Politikern an der Kilometerschinderei, so Grünig, nur bei einer Aktion auf dem Alexanderplatz setzte sich ein PDS-Abgeordneter für sie ein. Als Grünig und seine Mitstreiter dort eine breites Band aus Zetteln mit den Aufdrucken „War“ und „Peace“ auslegten, griff die Polizei ein, doch der Politiker konnte vermitteln.

Der „Lauf gegen den Krieg“ solle auf jeden Fall noch bis Ende November andauern, so der Galerist. Danach werde man weitersehen, auch hinsichtlich einer größeren Resonanz. Wenn es bis dahin mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit gebe, sei ein wesentliches Ziel erreicht: das Wachrütteln für ein bisschen eigenen Protest. Auch wenn sich nur die wenigsten zumindest symbolisch auf dem Weg ins Kriegsgebiet machen.

HENNING KRAUDZUN

Die Aktion in der Galerie Rosinski, Invalidenstr. 35 (U 6, Zinnowitzer Straße), läuft noch bis Ende November.