steuerausfälle: Das Ende der Erwartungspolitik
Rot-grüne Steuerpolitik hatte bis vor kurzem etwas Magisches. Ähnlich wie die New Economy basierte auch sie auf Erwartungen – auf der Erwartung beispielsweise, dass sich Steuersenkungen am Ende in höheren privaten Investitionen auszahlen würden. Die Einkommens- und Körperschaftssteuern wurden gesenkt, die Gewerbesteuer neu verrechnet. Also, so hoffte man, würden die Leute mehr kaufen, die Unternehmer mehr investieren und die Wirtschaft boomen.
Kommentarvon BARBARA DRIBBUSCH
Gestern ist diese Erwartungspolitik endgültig zusammengebrochen. Der Konjunkturabschwung wird dafür sorgen, dass Bund, Länder und Gemeinden in diesem und im kommenden Jahr neue Ausfälle von insgesamt 32 Milliarden Mark zu verkraften haben. Es zeigt sich, dass Steuersenkungen nur dann etwas nützen, wenn eine starke Konjunktur für viele gut verdienende Steuerzahler sorgt – und die Unternehmen tatsächlich neue Jobs schaffen. Das wurde im allgemeinen Optimismus bisher gerne übersehen.
Sicher wären Steuerausfälle auch ohne Steuersenkungen entstanden. Finanzminister Hans Eichel (SPD) trägt keine Schuld für die weltweite Krise auf dem Telekommunikationsmarkt, die Börseneinbrüche, den Ölpreisschock und die steigende Arbeitslosenzahl. Dennoch hat sich gezeigt, wie riskant die Anreizpolitik ist: Die klassische Unternehmenssteuer, die Körperschaftssteuer, geht zurück, so verliert der Staat erst mal Geld – und kann nicht sicher sein, am Ende etwas dafür zu bekommen.
Die Erwartungspolitik ist gescheitert – doch was kommt jetzt? Alles, was Hans Eichel für den Bundeshaushalt tun könnte, war schon mal da: Steuern noch schneller senken? Ist riskant, siehe oben. Einsparungen im Haushalt, vielleicht bei den Sozialausgaben? Noch riskanter, vor allem im Wahljahr. Mehr neue Schulden machen? Nicht auszuschließen, aber ein gefundenes Fressen für die Opposition. Eichel hat sich deshalb schon mal für das Unauffälligste entschieden: Unter anderem will er durch vorzeitige Privatisierungen von Bundesbesitz die Steuerausfälle des Bundes ausgleichen – ein alter Trick und deswegen heute wieder zeitgemäß. Denn nach der Erwartungs- ist jetzt Beruhigungspolitik angesagt.
Kaum einer will sich derzeit wirklich mit Steuerfragen auseinander setzen – nicht zuletzt weil nach dem 11. September andere Themen in den Vordergrund getreten sind. Das weiß Eichel ganz genau, und darauf wird er setzen.
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