: Vom Volksbad zur Volkssauna
Was niemand mehr für möglich gehalten hätte, soll nun wahr werden: Das Stadtbad in der Oderberger Straße wird an die Genossenschaft verkauft, die sich schon seit Jahren für eine Wiedereröffnung des seit 1987 geschlossenen Bades einsetzt
von UWE RADA
Es ist das Geheimnis, das von verschlossenen Räumen ausgeht. Die Möglichkeit, der Vorstellungskraft und Fantasie freien Lauf zu lassen. Der leise Zweifel, das das womöglich alles gar nicht stimmt.
Es stimmt doch: das leere Becken zum Beispiel, das ohne Wasser erst recht beeindruckt. Die Galeriegänge in den oberen Stockwerken. Oder die marode Technik. Viele Hunderte haben sich am Samstag davon überzeugen können. Das Stadtbad Oderberger Straße in Prenzlauer Berg, von außen mit seiner Neorenaissancefassade nicht unbedingt als solches auszumachen, existiert tatsächlich. Dass man schon daran zweifeln konnte, lag nur daran, dass es so lange geschlossen war. Vierzehn Jahre lang.
Der Tag der offenen Tür, zu dem die Bürgerinitiative Stadtbad Oderberger, aus der mittlerweile eine Genossenschaft geworden ist, am Samstag eingeladen hatte, war aber mehr als ein ungläubiger Blick hinter die Kulissen eines Bades, dessen Eröffnung durch Kaiser Wilhelm II. sich im kommenden Jahr zum hundertsten Male jährt. Es war auch der Auftakt für eine neuerliche Nutzung. Nach zehn Jahren Lobbyarbeit, Unterschriftensammeln, Petitionenschreiben und Kunst-Events-Veranstalten ist nämlich eine Entscheidung gefallen. Das Stadtbad wird an die Genossenschaft verkauft. Und sich vielleicht schon im Jahre 2005 wieder mit einem vollen Becken präsentieren.
Ausschlaggebend für die Entscheidung war ein runder Tisch, zu dem sich die Bezirksstadträte für Finanzen und Bauen mit der Senatswirtschaftsverwaltung und dem Liegenschaftsfonds des Landes Berlin getroffen haben. Unter mehreren potenziellen Investoren galt es jenen auszuwählen, dessen Nutzung am ehesten den Sanierungszielen entsprach. Und da gehörte der Umbau des von Ludwig Hofmann 1902 fertig gestellten Baus zum Dreisternehotel nebst Nobelrestaurant im leeren Becken nicht dazu. „Das wäre im Bezirk und bei den Anwohnern nicht durchsetzbar gewesen“, freut sich Bernd Holtfreter. Stattdessen soll die Genossenschaft, zu deren Gründern Holtfreter gehört, aus dem ehemaligen Stadtbad eine Saunalandschaft mit Schwimmbecken, Restaurant und Fitnessbereich machen. Eine Art Blubb im Kiezformat, und natürlich im Besitz des Volkes.
„Besser so was als eine Edelnutzung.“ In dieser Einschätzung war man sich am Samstagnachmittag einig, auch wenn sich die vorliegende Nutzungskonzeption der Genossenschaft im Verlauf der letzten Jahre geändert hat. War man noch nach der Wende angetetreten, aus dem Stadtbad einen normalen Badebetrieb nebst Jugendhotel entstehen zu lassen, haben sich mit der Veränderung der Bewohner rund um die Oderberger Straße und die Kastanienallee auch die Vorstellungen über die Zukunft des Stadtbades verändert. Etwas nobler darf’s nun schon sein. Auch in der Oderberger Straße hat das Thema „Aufwertung“ nicht mehr den Reizwert wie noch vor einigen Jahren.
Gleichwohl oder gerade trotzdem war der Zulauf auf die Anteilsscheine der Genossenschaft recht groß am Samstag. „Über 150 neue Mitglieder haben gezeichnet“, freut sich Bernd Holtfreter. Sein Ziel: „Aus den 400 Mitgliedern, die wir jetzt haben, sollen bis Jahresende 1.000 werden.“
Zu denen, die sich über diesen Erfolg der Genossenschaft freuen, zählt auch Wolfgang Thierse. „Der Initiative zahlreicher Bürger, den Bemühungen der Bezirksvertreter und dem entschlossenen Handeln des Senats“, so der Bundestagspräsident und Nachbar, „ist es zu verdanken, dass in dem Jahrhundertwendebau bald wieder gebadet werden kann.“
Die Entschlossenheit des Senats, die Thierse lobt, ist in der Tat etwas Ungewöhnliches. Mit der Entscheidung, das Stadtbad an die Genossenschaft zu kaufen, verzichtet das Land Berlin bewusst auf den höchsten Kaufpreis. Der Verkehrswert nämlich ist abhängig von der Nutzung, und ein Dreisternehotel hätte dem Land mit Sicherheit mehr Einnahmen beschert als eine Saunalandschaft in Volkes Besitz. Dass es letzten Endes zum Zuschlag an die Genossenschaft kam, führt Wolfgang Thierse auch darauf zurück, dass die anderen Bewerber „keine sozialverträglichen Nutzungen vorsahen“.
Inzwischen hat der aussichtsreichste Kontrahent, der mit dem Dreisternehotel und dem Restaurant im leeren Becken, der Genossenschaft schon gratuliert, nicht allerdings ohne seinen Zweifel an der Finanzierbarkeit des Vorhabens anzumelden. Für Stadtbad-Genossenschaftler Bernd Holtfreter gibt es allerdings keinen Zweifel mehr. „In der nächsten Woche wird der Kaufpreis ermittelt, und noch im November wird der Vertrag unterschrieben.“ Woher das Geld kommen soll? „Von den Genossen“, sagt Holtfreter.
Vielleicht muss demnächst ja noch mit weiteren Tagen der offenen Tür gerechnet werden. Bei einer Einlage von 100 Mark und den angestrebten 1.000 Genossen bis Jahresfrist wären nur einmal 100.000 Mark zusammen. So spendabel dürfte auch das Land Berlin nicht sein. Trotz Hinweis auf Sanierungsziele und sozialverträgliche Nutzung.
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