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Schauspielhaus en bleu-blanc-rouge

■ Durch's Bremer Theater wehte ein feines französisches Lüftchen: Drei Tage lang wurde im Rahmen der neu geschaffenen Reihe „Europäisches Theater“ gelesen, diskutiert und gespielt

Wo bis vor kurzem noch rote Fähnchen mit plakativen Flammensymbolen wehten, flattern jetzt große französische Flaggen. Fremder Nationalstolz an der Nordseeküste? Die Gäste, die aus der Grande Nation angereist waren, um am dreitägigen Forum für frankophones Theater teilzunehmen, dürften sich jedenfalls sofort heimisch gefühlt haben im neu dekorierten Schauspielhaus-Innenhof.

Nach der deutschsprachigen Erstaufführung von Jean-Luc Lagarces „Einfach das Ende der Welt“ waren am nächsten Abend gleich drei verschiedene Theatertexte zu hören, gelesen von Schauspielern des Bremer Theaters, dezent in Szene gesetzt von Dramaturgen und Regieassistenten. Alle drei Texte sind frisch übersetzt, unter den Autoren finden sich Namen wie Daniel Danis oder Valère Novarina, beide hauptsächlich – aber keineswegs ausschließlich – im französischen Sprachraum bekannt.

Zunächst jedoch ein Stück des Parisers Alain Gautré: „Familienbande“. Vier Brüder halten nacheinander Einzug in das Haus des ältesten, der sie bezeichnenderweise mit erhobenem Gewehr empfängt. Hier werden, garniert mit staubtrockenem Humor, erbitterte Machtkämpfe ausgetragen, unter denen immer wieder die ungeklärte, grausame Vergangenheit hervorblitzt.

Das also ist das zeitgenössische französische Theater? Auch, aber nicht nur. Novarinas „Der rote Ursprung“ ist mit dem ersten Text in keiner Weise zu vergleichen. Handlung? Fehlanzeige. Erkennbare Figuren? Nix da. Etwas hilflos findet sich das Publikum in einem collagenartigen Strudel aus zusammenhangslosen Monologen, Statements und skurrilen Gesprächen wieder. Verständlich sind diese Wortgebilde nur mit allerhöchster Konzentration – und vielleicht nicht einmal dann. Doch ganz allmählich entfaltet sich die Faszination der reinen Sprache, erkennt man Komik und Intelligenz in diesem Schwall von Wortschöpfungen.

Und schließlich der letzte Text des Abends, Daniel Danis' „Kieselasche“. Vier Personen, jeder für sich auf einem schlichten Stuhl, halten seltsam unbeteiligt wirkende Monologe. Untereinander sind die Figuren sonderbar verwoben, dennoch ist jeder gefangen in seinen eigenen, beklemmenden Emotionen. Soviel zum praktischen Teil. Am nächsten Morgen folgte – was wäre ein Forum ohne sie – die theoretische Aufarbeitung in Form einer Podiumsdiskussion mit anschließender Verleihung des neugeschaffenen Bremer Übersetzerpreises.

Geladen waren, neben Novarina und Danis, durchaus illustre Gäste, die dann auch fleißig über deutsches und französisches Theater, Theater an sich und natürlich über die oft unterschätzte Rolle eines Übersetzers diskutieren durften. Dass die Theaterkritikerin Barbara Engelhardt, hier als Jurorin eingesetzt, den Übersetzerpreis schließlich Novarinas Übersetzer Leopold von Verschuer zusprach, war nach der Lesung am vergangenen Abend nur konsequent – nicht nur, dass von Verschuer sich mit Kreationen wie dem „Physiothropen-Lied“ herumgeschlagen hatte, Engelhardt bescheinigte ihm ferner eine starke sprachschöpferische Qualität und enormen Bildreichtum.

Viel geredet, viele Texte gehört – am Abend ging man dann endlich daran, echtes französisches Theater zu erleben: ein Doppel-Gastspiel des ThéÛtre Vidy-Lausanne E.T.E. Wie in der morgendlichen Podiumsdiskussion schon angedeutet, wurde gut anderthalb Stunden lang äußerst redefreudiges – und daher deutsch übertiteltes – Theater geboten. In „Abel et Bela“ versuchen zwei ältere Männer, angesiedelt irgendwo zwischen Lemmon/Matthau und „Warten auf Godot“, ein Theaterstück zu schreiben, mit dem einzigen Anspruch, das wahre Wesen des Theater zu erfassen.

„Nuit“, das zweite Stück, fängt die unwirkliche Stimmung der Nacht ein: Zwei Männer (erneut gespielt von Serge Merlin und Roger Jendly) teilen das Bett. Der eine redet im Fieber von einer hoffnungsvollen Zukunft, der andere grummelt im Halbschlaf halbherzige Kommentare.

Ein atmosphärischer, aber auch komischer Abschluss für ein kleines, sorgfältig organisiertes Festival, das aus verschiedenen Perspektiven eine Ahnung davon vermittelt, was das ist, französisches Theater. Und wenn man am Ende zwar nicht gerade euphorisch „Vive la France“ rufen möchte, hat es doch Spaß gemacht, das feine französische Lüftchen zu schnuppern, das drei Tage lang durch das Schauspielhaus wehte.

Bodil Elstner

Jean-Luc Lagarces' „Ende der Welt“ kommt am 23. November wieder in's Schauspielhaus

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