Gelangweilte Miezekatzen

Zwischen Stimmungsstudie und Krimiplot: Asfalto im 3001  ■ Von Stefanie Maeck

Spaniens „Katzen“ bewegen sich auf heißem Pflaster. Mit endlosen Beinen, wirren Haaren und abgetönter Brille läuft Lucia über die Straße auf ihren Freund zu. Der lehnt lässig am Auto. Fremd und gereizt streichen beide um einander herum. Wenig später sind sie verknäult in einer Umarmung, wühlen sich durch die Haare, knutschen – und die Brille ist im Weg. Wie zwei junge Wildkatzen, animalisch, reizbar, sprunghaft – ohne Ruhe.

Im Auto wartet ein Freund, der sie zu sich fahren wird, einen neuen Coup beraten. In der schwülen Enge seines schäbigen Appartements wird sich später eine Ménage à trois entwickeln, ein aggressiv-zärtlicher Dreier in kräftigen und gleichzeitig ausge-blichenen Farben, so als hätte die iberische Sonne zu lange darauf geschienen. Doch zunächst lässt Regisseur Calparsoro seine drei attraktiven Slacker ein kleines Ding drehen, das ganz groß schief geht. Beim Überfall auf einen französischen Geschäftsmann haben sie den Finger zu nah am Abzug, und das Ganze endet in einem unnötigen Exzess von Gewalt.

Calparsoro hat einen guten Sinn für die Sinn- und Haltlosigkeit seiner Helden. Hektisch und sprunghaft ziehen sie durch die dunstigen Straßen Madrids, wachsam, immer auf der Hut. Ihre Augen taxieren sich kurz, die Anspannung zuckt in ihren Gesichtern. Wohin sie gehen? Sie wissen es nicht. Vor wem sie fliehen? Vielleicht vor der Polizei. Gut aussehen tun sie dabei auf jeden Fall. Und schließlich entlädt sich alles in sexueller Energie, die in Asfalto einer animalischen Bewegungsdramaturgie folgt. Lucia kommt gar nicht mehr dazu, ihr Kleid zu schließen, so fiebrig umtanzen sich die drei.

Kammerspielartig zeigt diese erste Hälfte also eine träg erotische und gelangweilt kleinkriminelle Szenerie der spanischen Mittelschicht. Eine Studie flirrender Möglichkeiten, die sich in jeder einzelnen lasziven Bewegung unter der sengenden Sonne andeuten. Enervation, Eskapismus und Ennui dreier eigentlich ganz netter Endzwanziger. Ein Lebensentwurf, der „außer Atem“ ist, und darauf anspielt. Schließlich muß man seine Coolness irgendwo abgucken, und die „Nouvelle Vague“ ist da nicht die schlechteste Wahl.

Dass Calparsoros „Drifter“ aber doch eher bürgerlich sind, zeigt sich nicht zuletzt an ihren Wohnungen. Chino lebt mit seinem Bruder, einem Polizisten, in einem Haus, das aussieht als wäre es zur Zeit seines Kinderzimmerdaseins mit der Tapete und den Postern an den Wänden stehengeblieben und fortan auch nicht mehr mitgewachsen. Schwitzend und im Niemandsland zwischen Junge und Mann liegt Chino mit seinem Bruder auf dem Bett und könnte eigentlich auch Fußball spielen, anstatt auf Leute zu schießen. Lucias Wohnung ist von einem eigentümlich grünen Licht durchstrahlt und sieht aus wie ein Biotop mit kleinen Geheimnissen – ziemlich nett, eine richtige Frauenwohnung. Bald findet das auch die wieder aufgetauchte Mutter und hilft betrunken mit, Koks in der Küche herzustellen. Charly ist der Einzige, dessen Wohnung nach dem aussieht, was er lebt – ein Sein auf dem Sprung. Immer an der Schwelle zum Abbruch.

Nach diesem erotischen und chaotischen Auftakt folgt in Asfalto, Calparsoros fünftem Spielfilm, ein Zeitsprung. Alle drei werden gefasst und einer, Charly, ins Gefängnis geschickt. Chino wechselt zur Polizei, und Lucia will sich zwischen beiden Männern nicht entscheiden, wie sie trotzig verkündet. Von diesem Moment an verfolgt der junge Regisseur weniger die ruhelose Stimmung seiner Wildkatzen, als vielmehr die Konstruktion von Drogenverkaufs- und Verratsgeschichten. Raubkatzen, nun also.

Jetzt gibt es ungleich mehr Action-Szenen, die nicht sehr einfallsreich sind: Ein Fahrzeug wird kaputt gefahren, landet in einem anderen – die alte Geschichte. So blendet der sinnliche und individualistische Beginn in eine brave Narration über und verkauft seine Stärken an einen kurzweiligen Plot: Nach Verrat und Scheitern fahren die drei wieder zusammen im Auto – und die Polizisten an ihnen vorbei.

Interessanter, mutiger und vielleicht weniger verkaufsträchtig wäre der Versuch gewesen, einzig aus dem Wagnis einer Stimmungsstudie, mit Farben, Tönen und Kameraperspektiven einen abendfüllenden Film zu machen. Der Versuch, die innere Leere der jungen Menschen ins Bild zu setzen. Der Dialektik von Leere und Ruhelosigkeit, von Einzelnem und Großstadt zu folgen. Aber so ein Wagnis kann schon mal nervös machen – und es kann ja auch nicht jeder „Nouvelle Vague“ sein, der so aussieht! Belmondo, übernehmen Sie!

tägl., 20.30 Uhr, 3001