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Bubertäre Techno-Netzwerke

Schriften zu Zeitschriften: Das Filmmagazin „Schnitt“ hat Vilém Flusser zum 10. Todestag eine Ausgabe gewidmet

Der Medientheoretiker Vilém Flusser war ein brillanter Essayist, der gleich in vier Sprachen – Portugiesisch, Deutsch, Französisch und Englisch – glänzte, über die er beim Schreiben genauso souverän verfügte wie im Gespräch. „Die Migration ist eine kreative Situation. Und eine schmerzhafte“, schrieb er. „Als ich aus Prag vertrieben wurde (oder die mutige Entscheidung traf, zu fliehen), durchlebte ich den Zusammenbruch des Universums.“ Aber, fährt er fort, „im London der ersten Kriegsjahre und beim Vorahnen der Schrecken der Lager, begann ich mir darüber klar zu werden, dass es nicht die Schmerzen eines chirurgischen Eingriffs waren, sondern die einer Entbindung.“

Von London aus emigrierte Vilém Flusser nach São Paulo in Brasilien. 1972, nach der Machtübernahme des Militärs, siedelte er schließlich nach Frankreich über. Die Gabe der Vielsprachigkeit kam also leider nicht von ungefähr. 1991 beim ersten Besuch seiner Heimatstadt Prag, kam er bei einem Unfall ums Leben. Am 27. November jährt sich sein Todestag nun zum zehnten Mal.

Unter zahlreichen Würdigungen, die jetzt an Flusser erinnern, ist der Beitrag der Filmzeitschrift Schnitt wohl der riskanteste. Denn Vilém Flusser hat sich dem Film kaum je explizit gewidmet. Sein Feld war die Fotografie; hier wurde er mit der 1983 erschienenen Untersuchung „Für eine Philosophie der Fotografie“ weithin bekannt. Für Flusser war der Film nur die Fortsetzung der Fotografie, „denn er ist ein aus Technobildern bestehender Streifen“. Genau hier aber kann der Schnitt einhaken, dessen Name Programm ist. Denn Flusser sieht im Schnitt, in der Montage das entscheidende Verfahren, in dem nicht nur Geschichten und Plots ihre Bedeutung erhalten, sondern die Geschichte selbst. „Die Geschichte läuft gegenwärtig im Hinblick auf Technobilder: sie ist ein zu schneidender und zu klebender Filmstreifen, und erst dieses Schneiden und Kleben gibt ihr Bedeutung“, zitiert Andreas Ströhl in seiner Einleitung zum Themenschwerpunkt den Medientheoretiker, der noch zuspitzt: „Das Ziel der Geschichte ist es, ein Fernsehprogramm zu werden.“ Wer möchte an dieser Stelle nicht „Cut! Cut! Cut!“ sagen? Zumal der Wiederabdruck von Flussers kulturkritischem Essay zum Kino ähnliche Überspitzungen zeigt, wenn das Kino nur als Ort des Konsums erscheint.

Der Kulturwissenschaftler Nils Röller konstatiert denn auch, dass „Flussers Reflexion über das Kino im theoriegeschichtlichen Sinne anmaßend“ sei. Röller macht in seinem aufschlussreichen Aufsatz ausgerechnet Martin Buber und dessen Philosophie des dialogischen Denkens als eine Quelle von Flussers Thesen über das Kino aus. Dabei kann er zeigen, dass Flusser dem Film letztlich doch mehr Potenzial zubilligt. Denn mit den Technobildern, die bei Flusser stets als digitale Bilder zu denken sind – ein Aufsatz von Harun Farocki im Heft weist nach, dass Flusser den 0/1-Code schon dem analogen fotografischen Verfahren zu Grunde liegen sieht –, also mit dem Computer und dem Schnittplatz eröffnet sich ein neuer Möglichkeitsraum dialogischer Kommunikation, den Röller in den heutigen Netzwerktechnologien in ihrer noch jungen und ungestümen, „bubertären“ Phase sieht. Dafür aber, meint er, kann man den Konsumkritiker Flusser unbedingt vereinnahmen.

Der Schnitt selbst muss über seine pubertäre Phase hinaus sein, denn die 1996 von neun Studenten aus dem Bereich Film- und Fernsehwissenschaft an der Universität Bochum gegründete Vierteljahreszeitschrift ist eine solide, informationsreiche und wohlgestaltete Angelegenheit, die entsprechend mit Beiträgen bekannter Autoren aufwarten kann. Neben dem Themenschwerpunkt gibt es ausführliche Besprechungen zu aktuellen Filmen, Kurzkritiken, ein Porträt, das naturgemäß „Starschnitt“ heißt, Beiträge zur Filmmusik, den Clip Club von Daniel Kothenschulte und Dietrich Kuhlbrodts regelmäßige Glosse „Brodt und Spiele“, die im neuen Heft ganz besonders schön ist.

Auch Kurz- und Dokumentarfilme werden gewürdigt, ebenso wie große, aber vor allem auch kleine Filmfeste und -festivals, schließlich finden sich Besprechungen neuer Bücher zum Thema Film und Medien sowie eine Kolumne des Kunsttheoretikers Boris Groys. Weitergehende verlegerische und filmpolitische Aktivitäten lassen sich über die wunderbar manövrierbare Webseite www.schnitt.com verfolgen. Dort findet sich auch der Hinweis auf den Schnitt-Preis für die künstlerisch beste Cutter-Leistung an einem deutschen Kinospielfilm, den die Schnitt-Crew 1999 ins Leben rief. Nächstes Wochenende wird er erstmals in Köln, gemeinsam mit der Filmstiftung NRW, im Rahmen der „Film+“-Veranstaltung verliehen. BRIGITTE WERNEBURG

„Schnitt – Das Filmmagazin“, # 24,4/01, DM 6

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