Nachgefragt: Deutsche nach Kabul!
■ Grünen-Chef: Rot-Grün sollte deutsche Blauhelme ins befreite Kabul schicken
taz: Bei den Bildern und den Nachrichten aus Kabul drängt sich der Eindruck auf, dass die Bewohner von Kabul sich viel mehr über ihre Befreiung vom Taliban-Regime freuen, als die Deutschen sich 1945 gefreut haben, als die Amerikaner einmarschiert sind. Ist ein Krieg zur Befreiung legitim?
Klaus Möhle, Grünen-Landesvorsitzender: Die Frage ist für mich eine andere. In der Anfangszeit nach dem 11. September wurde gesagt, es gehe darum, das Terroristen-Netzwerk zu zerstören. Das hat sich anders entwickelt, weil das eine mit dem anderen sehr eng verwoben ist. Ich habe angefangen, kritisch darüber zu denken, als die Amerikaner Streubomben eingesetzt haben und es sich zu einem nicht mehr steuerbaren Krieg entwickelt hat.
Nach wenigen Tagen Krieg haben die Taliban Kabul verlassen.
Das sah vor kurzem noch ganz anders aus.
Müssen wir deshalb heute anders darüber reden?
Zum Teil sicherlich.
Die Befreiung Deutschlands vom Nazi-Regime hat sehr viel mehr zivile Opfer gefordert. Der Krieg gegen das Taliban-Regime traf offenbar sehr gezielt deren Militärstruktur.
Das mag man aus heutiger Sicht so bewerten. Es gab bis vor wenigen Tagen kaum Informationen aus dem Land. Erst seitdem da mehr Journalisten herumlaufen, weiß man, was da passiert.
Heute sieht es so aus, als wäre der Krieg möglicherweise doch beherrschbar. Warum wird heute nicht gesagt: Deutschland muss, auch aus einem Gefühl der historischen Verpflichtung gegenüber den Amerikanern, viele Soldaten unter Uno-Helmen nach Af-ghanistan schicken, um den Aufbau des Landes zu sichern?
Da bin ich sofort dafür. Ganz deutlich. Denn das Machtvakuum in Kabul ist höllengefährlich, und der Nordallianz ist auch nicht zu trauen.
In Berlin wird aber über die Entsendung von Fregatten ans Horn von Afrika debattiert.
Ich finde das ingesamt etwas absurd. Das, was in Berlin passiert, hat mit der konkreten Situation in Afghanistan so gut wie nichts mehr zu tun.
Warum sagen die Grünen nicht: Wir brauchen keine Fregatten am Horn von Afrika, da machen wir nicht mit, wir wollen den Amerikanern unsere Hilfe unter dem Uno-Dach anbieten?
Das wäre mir lieber, das geht aber ohne Schröder nicht. Die Grünen haben die Vertrauensfrage nicht gestellt, sondern Schröder. Das muss jetzt erst einmal durchgestanden werden. Ich würde da inzwischen allen empfehlen, dem zuzustimmen, damit die Koalition weiter machen kann.
Und was ist mit der Gefahr, dass nach dem Beschluss im Bundestag deutsche Truppen demnächst unter amerikanischer Fahne in Somalia einmarschieren müssen?
Die sehe ich sehr deutlich. Aber die Chance auf eine Befriedung der Situation in Afghanistan nach 20 Jahren Bürgerkrieg ist so groß wie nie zuvor.
Fragen: K.Wolschner
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