: Genosse Peter und Genosse Heinz
Die Ampelkoalition ist so gut wie beschlossen. Doch die Basis der SPD grummelt, vor allem in Problemzonen wie Friedrichshain-Kreuzberg. So hält Parteichef Peter Strieder eine lange Nachwahlkampfrede. Dann dürfen auch noch mal die anderen reden – ein letzte Mal, bevor sie gehen
von HANS W. KORFMANN
Friedrichshain-Kreuzberg ist eine Problemzone für die SPD. Denn mitten in Berlin sind Misstrauen und Widerstand gegen Regierende noch immer keine Ausnahme. Die Mitglieder der Kreisdelegiertenversammlung marschieren wie Schullehrer mit prall gefüllten Ledertaschen in den Sitzungssaal. Sie begrüßen einander mit kräftigem Händedruck, und am Büfett gibt es Schmalzstullen und Hackepeter.
Mit forschem Schritt betritt nun ein Mann mit bunter Krawatte den Saal, grüßt kurz und steuert zielstrebig auf das Podium zu. Stephan Zackenfels, frisch ins Abgeordnetenhaus gewählt, wird die Moderation übernehmen. Er repräsentiert den modernen Typus des Sozialdemokraten. Die Grünen würden ihn trotz der Krawatte als einen der Ihren identifizieren. Einen, der eben „in der Realpolitik angekommen“ ist.
Die nostalgische Fraktion ist vertreten durch zwei sozialistisch anmutende Vollbärte, drei Genossen in Jeans und einen mit ordentlichem Bauch und kariertem Holzfällerhemd. In der Hand hat er zwei Zeitungen. taz und BZ. „Hallo Heinz“, sagt einer im Vorübergehen und nickt dem Altgenossen freundlich zu. Dann flüstert er zum Nachbarn: „Heinz tritt aus!“ – „Wirklich?“, flüstert der Nachbar zurück.
Der beste Schneider
Ein allgemeines Gemurmel setzt ein und endet erst, als ein Mann den Saal betritt, der mit ganz besonderer Aufmerksamkeit begrüßt wird. „High, Peter“ – „Grüß dich, Peter“ – „Genosse Peter!“ Der schüttelt viele Hände, nickt kurz und blickt sich um. Peter hat den besten Schneider im Saal, sein Anzug sitzt. „Ich freue mich, unseren Landesvorsitzenden begrüßen zu dürfen“, sagt Zackenfels, nachdem seine kleine Klingel um Aufmerksamkeit gebeten hat, „und denke, dass wir gut daran getan haben, ihn heute zu uns zu beten, damit er uns noch einmal die Gedanken der Landesebene vermittelt.“
Peter Strieder wäre ohnehin gekommen. Denn auf den Tischen vor den Delegierten von Friedrichshain-Kreuzberg liegt ein Antrag zur Einberufung eines Landesparteitages. Darin heißt es: „Der Landesvorstand der Berliner SPD wird beauftragt, sofort Koalitionsverhandlungen mit Bündnis 90/Die Grünen und der Partei des Demokratischen Sozialismus aufzunehmen.“
Friedrichshain-Kreuzberg ist eben eine Problemzone. Einer der Delegierten hat die taz vor sich aufgeschlagen. Es ist Heinz. Er betrachtet drei Kampfflugzeuge, die vom Himmel stürzen. Überschrift: „Mit Volldampf in die Niederlage!“ Strieder tritt ans Mikrophon: „Das Wahlergebnis ist ja nicht so schlecht. Nein, es ist eigentlich sehr gut. Aber Kreuzberg besteht nicht nur aus Kreuzberg, wir heißen jetzt Friedrichshain-Kreuzberg“.
„Ach!“, macht Heinz. Er ist auf der nächsten Seite angelangt. Überschrift: „Globalisierung ist alltäglicher Terror“. Genosse Peter: „In Friedrichshain ist das Wahlergebnis nicht so gewesen, wie wir uns das vorgestellt hatten!“ „Nö!“, macht Heinz. Und Genosse Peter: „Wir müssen dort ebenso viele Stimmen bekommen wie im Westen.“
Stephan Zackenfels nickt, und der Genosse Landesvorsitzende fährt fort: „Klaus Wowereit steht auf den Schultern der gesamten Partei. Das ist der eigentliche Prozess, den wir in diesem Jahr hingekriegt haben.“ Dass man nämlich keine Angst mehr haben müsse, dass man auf den Schultern der Partei ständig einen Spagat machen muss. Einer, bei dem man garantiert durchfällt. „Weil nämlich die Partei endlich geschlossen zusammensteht“, sagt der Kreuzberger Peter. „Hm“, sagt Heinz und wirft einen Blick auf die nackte Blondine in der BZ.
„Die Wahl hat aber auch gezeigt, dass die CDU nicht mehr die Mitte der Gesellschaft repräsentiert. Und dass das ein strategischer Punkt für die Berliner SPD ist ...“ – Genosse Peter zögert einen Moment –, „nun die Mitte zu besetzen“. Ein Nachbar von Heinz brummt: „Lass uns doch erst mal Afghanistan besetzen, und dann können wir über Mitte reden!“ „Die Menschen wollen eine liberale, sozial gerechte ...“ Heinz wirft noch einen letzten Blick auf die Blonde und blättert um. Es raschelt. „Deshalb haben wir uns mit den Grünen zusammengesetzt, wir haben mit der FDP geredet. Wir haben auch bei der PDS durchaus Anlasspunkte gesehen, mit denen zusammenarbeiten zu können.“ Sagt Genosse Peter und räuspert sich. „Wir hätten uns mit ihr auf eine Politik für Berlin verständigen können.“ Aber die PDS sei eben nicht die Mitte. Die Genossinen und Genossen hätten es ja sicherlich gehört, dass die Bundesregierung ein Bündnis mit der PDS nicht gerne sehe. Und deshalb sei Rot-Rot schlecht für Berlin.
Die Hosenfrage
Genosse Peter jedenfalls ist sich „sicher, dass wir das in einem finanziellen Maße erheblich gespürt hätten“. Außerdem: „Bei einer Ampel sind die Verhältnisse 30 zu 9 zu 9. Da ist doch klar, wer die Hosen anhat“, sagt Genosse Peter. Heinz sagt: „Und wer die Hosen runterlässt!“ – „Das heißt, es gibt eine Partei, die den Führungsauftrag hat und wahrnimmt, und zwei kleinere Parteien, auf die man natürlich Rücksicht nehmen muss, keine Frage, aber klar ist ...“ Heinz studiert das Fernsehprogramm. „... die Bildung einer Ampel für möglich zu halten“.
Peter Strieder formuliert vorsichtig. Fast eine Stunde hat seine Rede vor den Bezirksdelegierten gedauert. Der Applaus klingt müde. Genosse Peter geht auf seinen Platz zurück. Er ist sich nicht sicher, ob er sie überzeugt hat. Man kann sich in diesen Problemzonen nie ganz sicher sein. Unter diesen Genossen, die noch immer glauben, die SPD sei eine Arbeiterpartei. Und diesen ewigen Neinsagern aus dem Osten. Aber er kennt ihre Argumente. Strieder war auch einmal ein Linker. Jetzt sucht er in seiner Jackentasche nach dem Handy.
Am Mikrophon haben nun die anderen das Wort. Die Redezeit der Ampelgegner wird schon nach den ersten fünf Wortbeiträgen mit der kleinen, silbernen Klingel auf drei Minuten gekürzt. Die Redner sprechen von der machtpolitischen Argumentationen des Landesvorsitzenden, von Erpressung durch den Kanzler und von der Illusion, mit nur zwei Stimmen Mehrheit fünf Jahre lang regieren zu können. Einer von ihnen scheut sich nicht, seine Rede noch mit einem Zitat von Rosa Luxemburg zu beginnen: „Es ist ja schon eine revolutionäre Rede, das zu sagen, was ist.“ Und fügt an: „Peter Strieders Rede ist keine revolutionäre gewesen. Sondern eine sozialdemokratische.“ Strieder lacht: „Ich empfinde das als Lob!“ Da legt Heinz die BZ aus der Hand und tritt ans Mikro. Er hat von allen, die heute dort vors Rednerpult stiegen, den sichersten Tritt. Er sagt, dass der Wahlausgang weniger den Führungsauftrag der SPD belege, sondern vor allem eins: „Abwahl der großen Koalition, neue Koalition mit neuer Regierung!“ Einige klatschen. „Nichts anderes geben die Zahlen her! Ampel bedeutet die Fortsetzung der großen Koalition. Zusammen mit einer FDP, die 16 Jahre lang einen grässlichen Sozialabbau betrieben hat und dafür mit Recht zum Teufel gejagt wurde. Und mit denen legen wir uns jetzt ins Bett.“
Der Austritt
Heinz macht nicht viele Worte. Jeder Absatz drei Sätze. „Ihr glaubt doch nicht wirklich, dass Gerhard Schröder so dusselig ist, dass der die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland verkommen lässt, indem er die erfolderlichen Mittel zum Überleben dieser Stadt nicht zur Verfügung stellen würde. Die, die sich auf die Ampel eingelassen haben, haben wenig starke Nerven bewiesen. Die haben von Regieren und Pokern keine Ahnung.“ Lachen und Applaus. „Die SPD wird langsam zur Bonzenpartei.“ Zackenfels klingelt mit der Glocke.
Heinz fährt fort: „Mir blutet das Herz, wenn ich sehe, was aus dieser einst so wertvollen Partei geworden ist. Und weil das so ist, wird das meine letzte Rede hier sein, weil ich nämlich morgen aus dieser Partei austrete.“
Peter Strieder sagt nichts. Dabei war Heinz viele Jahre in der Partei. Der Genosse Landesvorsitzende spricht weiter über die Vorteile einer Ampel. Wieder etwas Applaus. Am Ende sind 25 der Zuhörer auf der Seite des Genossen Peter. Die 15 Redner, die den Antrag gegen eine Ampelkoalition unterstützen, sind ganz unter sich geblieben.
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