: Wissenschaft fordert Mut zum Experiment
Unter dem Motto „an morgen denken“ fordert eine Initiative in den Wissenschaftsstandort Berlin zu investieren. Unis wollen mehr Eigenverantwortung, um sich selbst Geld beschaffen zu können. Studenten sollen Eigenbeitrag leisten
Während sich die Berliner Politik ausschließlich damit beschäftigt, wo und wie zu sparen ist, erinnern andere daran, dass in die Zukunft auch investiert werden muß. So appellierte am Donnerstag eine Initiative aus Wirtschaft und Wissenschaft an die Ampel-Koalitionäre, die Rahmenbedingungen für Wissenschaft in Berlin zu verbessern. In ihrer „Handreichung für eine Koalitionsvereinbarung“ betont die Initiative „an morgen denken – Wirtschaft und Wissenschaft gemeinsam für Berlin“, dass das akademische Potenzial zu den wichtigsten Standortfaktoren der Hauptstadt gehöre.
Kernpunkt ist dabei die Forderung, dass Wissenschaft wettbewerbsfähig gemacht werde, damit „sie selbst mehr Geld nach Berlin bringen kann“ sagte Thomas Hertz, Hauptgeschäftsführer der IHK Berlin. Zentraler Gedanke des Papiers sei, erläuterte FU-Präsident Peter Gaethgens, eine stärkere Autonomie der Hochschulen. Der Staat solle seine Aufsicht auf ein notwendiges Minimum reduzieren und die „Feinsteuerung den Hochschulen überlassen“, forderte Gaethgens. Voraussetzung dazu wären Investitionen in die personelle, technische und bauliche Infrastruktur der Wissenschaftszentren wie Adlershof oder Buch. Nur so könne die Drittmittelfähigkeit der Institute erhalten bleiben. Denn anders als in den USA seien Drittmittel in Deutschland an die Infrastruktur der Einrichtungen gebunden.
Großen Wert legt die Expertenrunde auf die bessere „Verzahnung“ von Wissen und Geld. Die Forderung lautet: Wissenschaftseinrichtungen müssen selbst unternehmerisch tätig werden. Mit Patenten, zum Beispiel, meinte Detlev Ganten, Stiftungsvorstand des Max-Delbrück-Centrums, könnten Firmen ausgegründet werden, die mittelfristig wiederum neue Arbeitsplätze in der desolaten Stadt schaffen könnten.
Um mehr Bewegungsfreiheit zu erlangen, sei es wünschenswert, dass die Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung ein eigenständiges Ressort werde, sagten die Initiatoren. Dem erteilte die Grünen-Wissenschaftssenatorin Adrienne Goehler allerdings eine prompte Absage. Zwar begrüßte die Kulturpolitikerin den Ruf nach mehr akademischer Eigenverantwortung und Autonomie. Die vorgeschlagene Aufteilung des Ressorts Kultur und Wissenschaft lehnte sie aus Kostengründen jedoch ab. Ein Neuzuschnitt würde zusätzlich 2,8 Millionen Mark kosten, hieß es aus der Goehler-Behörde.
Der bevorstehende Generationenwechsel in der Professorenschaft biete eine einmalige Gelegenheit, so die „an morgen denken“-Initiatoren, das Profil der Berliner Hochschullandschaft neu zu schärfen. Im Schnitt koste jede Berufung die Universitäten rund eine Million Mark. In den kommenden Jahren würden rund 500 Professoren in den Ruhestand gehen. Für Berufungen sollten daher pro Jahr rund 50 Millionen Mark zusätzlich zu den in den Hochschulverträgen bereits veranschlagten 50 Millionen zur Verfügung stehen. „Die Personalentscheidungen von heute bestimmen das Wettbewerbsniveau Berlins in den nächsten 20 Jahren“, sagte Gaethgens.
Bewusst „wolkig“ hielt die Initiative ihre Forderung nach Studiengebühren. Hier präferierten die Autoren „Eigenbeiträge“ der Studierenden, „in welcher Form auch immer“. Studiengebühren, so die Unichefs, seien nicht unbedingt eine sichere Lösung, da noch nicht geklärt sei, wie sie zum Vorteil der Hochschulen vor der öffentlichen Hand geschützt werden könnten.
Angesichts der katastrophalen Finanzlage Berlins wünschten sich die Wissenschaftsexperten von den potenziellen Ampel-Koalitionären „Mut zu Experimenten“ und eine Konzentration der kargen Mittel auf Standort stärkende Bereiche.
Lob erhielt der Vorschlag von Seiten der PDS. Nach zehn Jahren Politik im „Trial and Error“-Verfahren, sei ein „Umsteuern dringend erforderlich“, sagte der wissenschaftspolitische Sprecher Benjamin Hoff. Er forderte allerdings ebenso „veränderte Bewusstseinsstrukturen bei den verbeamteten Hochschullehrenden“. Davon sei bislang nicht viel zu spüren gewesen, meinte Hoff. ADRIENNE WOLTERSDORF
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