: Fundiertes Jonglieren
Was der amerikanische Präsident mit Ussama Bin Laden zu tun hat und was nicht: Der Journalist Mathias Bröckers hielt im Eiszeit-Kino einen Vortrag über Verschwörungstheorien rund um die Terroranschläge auf das WTC
Eine Verschwörungstheorie ist ein hermetisches System. In sich völlig schlüssig, kann sie nur durch Ausgrenzung aller anderen Fakten und Beweise bestehen. Jegliche Störung von außen würde das Gleichgewicht der Verschwörungselemente stören und somit die Argumentation ins Wanken bringen. Das macht sie zu einem fragilen Gebilde, leicht anfällig für Gegenpropaganda und manchmal auch die Wahrheit. Aber „Wahrheit“ ist keine Kategorie für einen Verschwörungstheoretiker, er operiert lediglich mit einem Fundus an Gerüchten und Informationen, um die Faktenlage immer wieder neu infrage stellen zu können. Ganz im Gegensatz zum normalen Paranoiker. Er liefert nur die Wahnsysteme, an denen der Theoretiker sich Stück für Stück abarbeiten kann.
Die Serie „The WTC Conspiracy“ des Journalisten Mathias Bröckers hatte in den letzten Monaten für einiges Aufsehen gesorgt. Veröffentlicht wurde sie, ausgehend von einigen Artikeln, die kurz nach dem Anschlag auf das World Trade Center in der taz erschienen, im Online-Magazin Telepolis und hat es inzwischen auf 21 Folgen gebracht. Bröckers leistet in seinen Texten den üblichen Job des Verschwörungstheoretikers: Er verbindet das Offensichtliche mit einem Geheimwissen, das heute jedoch auf den Servern dieser Welt bereitliegt. Seine Absicht aber ist nicht – wie üblicherweise bei Verschwörungstheorien – die der Verwischung, sondern der Aufklärung. Was auf den ersten Blick wie ein Kompilat aus dem von ihm herausgegebenen „Lexikon der Verschwörungstheorie“ (Eichborn 2000) scheint, ist tatsächlich ein fundiertes Jonglieren mit „hard facts“: die vielen offenen Fragen bei der Ermittlung der Attentäter, die Geschäftsverbindungen der Familien Bush und Bin Laden, der Einfluss der CIA auf die Situation im Nahen Osten und nicht zuletzt die Tatsache, dass Mohammed Atta auf der Gehaltsliste des pakistanischen Geheimdienstes ISI stand, dem stabilsten Brückenkopf und Partner der CIA in der Krisenregion.
Seine kleine Vortragsveranstaltung im Eiszeit-Kino fand also unter leicht konspirativen Vorzeichen statt. Die dissidente Neugier machte die Hand voll Teilnehmer zu Mitverschwörern gegen die von Bröckers beklagte Gleichschaltung quer durch alle Institutionen. Seine Informationen, so erzählte Bröckers, habe er zwar auch nur aus Zeitungen gesammelt, sie seien jedoch in kleinen Bits & Pieces über die ganze Welt verstreut gewesen. Auch das gehört zu den Fähigkeiten des Verschwörungstheoretikers: das Gesamtgefüge niemals aus dem Blick zu verlieren und den Sinn da zu suchen, wo er sich am wenigsten zu erschließen scheint. Bröckers’ Vortrag wiederholte dann im Wesentlichen die Recherchefundstücke aus seinen Telepolis-Kolumnen (www.heise.de/tp/deutsch/html/such.html?T=The+WTC+Conspiracy), eine in ihrer Gesamtheit allerdings beeindruckende Beweislast.
Interessant war vor allem, Bröckers’ Verhältnis zu Verschwörungstheorien zu beobachten. Bröckers spielt das Spiel mit vertauschten Rollen: Er verwahrt sich gegen den Vorwand, solche zu liefern, und spielt den Ball lieber seinen Gegnern zu. Es gibt bisher nur eine Verschwörungstheorie, sagt er. „Und das ist die, dass Ussama Bin Laden hinter dem Anschlag auf das World Trade Center steckt.“ Bei allem, was Bröckers an Verbindungen zutage fördert, lässt er sich nie von der Dynamik einer Verschwörungstheorie blenden. Da kommt der Journalist wieder in ihm durch. Bröckers ist fasziniert von den Mechanismen, versucht aber, sie unter Kontrolle zu kriegen.
In einer seiner Kolumnen hatte er geschrieben: „Eine der Gefahren des Verschwörungsdenkens ist die Überschätzung der Kausalität, des direkten und allumfassenden Einflusses der Verschwörer, des linearen Ablaufs von Ursache-Wirkungs-Ketten. Aus der Quantenphysik und der Chaosforschung wissen wir aber, dass es Wirkungen ohne Ursache gibt und dass gewaltige Wirkungen durch das Aufschaukeln winziger, scheinbar unbedeutender Schmetterlingsflügel entstehen können.“
Bröckers’ Theorien sind ein modulares System. Er ist nicht auf der Suche nach der großen Verschwörung, dem unbekannten Dr. No oder den Illuminaten des Weltkapitals. Er stellt nur einige unerwünschte Fragen. Die Faktenlage ist so evident, dass sich die Theorien wie von selbst ergeben. ANDREAS BUSCHE
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