Der alte Mann und der Krieg

Peter Arnetts Tage als exklusiver CNN-Mann in Bagdad liegen fast elf Jahre zurück. In Kabul haben längst andere Kollegen abgeräumt. Dennoch will auch der 67-Jährige jetzt wieder nach Afghanistan

„Wenn die Bildernicht gut genugsind, bist du nicht nahe genug dran.“

von STEFAN ALBERTI

Das Büro lag an einem langen Gang im CNN-Gebäude in Washington, D C, ein paar Minuten vom Kapitol entfernt. Nur ein paar Zentimeter groß war das Namensschild an der Tür, aber groß genug, um die Besucher bei ihrem Besuch stoppen zu lassen. „Peter Arnett“. Der Arnett. Die Tür war offen, drinnen saß greifbar nahe, kaum mittelgroß und mit breitem Scheitel, der Mann aus dem El-Raschid-Hotel, der im Golfkrieg aus Bagdad berichtete, der Mann, der während des Kriegs Saddam Hussein interviewte und dafür Kritik einstecken musste, sich von der irakischen Propaganda einspannen zu lassen.

Der breite Scheitel ist eher noch breiter geworden, als ihn jetzt Scheinwerfer im Berliner Renaissance-Theater anstrahlen. Es ist wieder Krieg, und Arnett, inzwischen 67 und von den Veranstaltern als „der bekannteste Kriegsberichterstatter des Fernsehzeitalters“ eingeführt, steht als Veteran am Rednerpult der „Berliner Lektionen“. Die Exklusivgeschichten aus Kabul besorgen inzwischen andere.

Im gediegenen Ambiente des Theaters, wo man ihn als Mythos beklatscht, sieht er die Medien unter Druck – vor allem die in den USA. Nicht nur in den afghanischen Bergen, sondern auch auf den Korridoren im Weißen Haus und im Pentagon, in den Leserbriefspalten und in öffentlichen Radiodebatten. Eben überall dort, wo man Reporter als unpatriotisch zeiht, wenn sie kritisch berichten. Wo man sie an der kurzen Leine hält, Informationen nur häppchenweise rausrückt und die wesentlichen blockiert. Spoon-feeding heißt das so nett im Amerikanischen.

Und das hat für Arnett, geboren in Neuseeland, aber längst US-Bürger, etwas Ironisches. Denn was US-Medien nicht berichten können, bringen andere Sender über Satellitenschüssel auf US-Bildschirme: Die BBC oder – für Sprachkundige – noch mehr al-Dschasira, die arabische Version von CNN. Für Arnett ist es kein Zufall, dass die US-Bomben vor einer Woche das Kabuler Studio des Senders zerstörten.

Ein bisschen Pathos gibt es auch an diesem Sonntag: Kriegsberichterstatter würden die erste Fassung dessen schreiben, was einmal Geschichte wird, sagt Arnett. Eine Mutprobe sei der Job: je näher dran, umso dramatischer die Geschichte und die Bilder: „Wenn die Bilder nicht gut genug sind, bist du nicht nahe genug dran.“

„Unter Einsatz des Lebens“ heißt denn auch Arnetts Autobiografie, die mit einer Szene aus Afghanistan zur Zeit des Bürgerkriegs beginnt. Er hat überlebt, wie in 13 langen Jahren in Vietnam, später in El Salvador, Beirut, Guatemala und eben in Afghanistan, anders als jüngst ein Stern-Mitarbeiter und zwei Radiojournalisten. – Nein, die seien nicht dumm gewesen, hätten ihr Leben nicht sorglos riskiert, sagt Arnett: Gefahr sei eben permanent da im Leben eines Kriegsberichterstatters.

Im Berliner Publikum wähnt ihn jemand noch bei CNN. Doch dort musste er 1999 nach 18 Jahren gehen, als sich eine angebliche Enthüllungsgeschichte über Giftgaseinsätze der US-Armee in Laos nicht halten ließ, die er zwar nicht allein bearbeitet, aber zu verantworten hatte. Seitdem ist Arnett sauer: „Ein kleiner Sender, der sich gerade mal so durchzuschlagen“ versuche, den „in den USA nur ein paar hunderttausend Leute“ einschalten würden, sagt er heute über seinen früheren Brötchengeber. Nach dem Abgang von Sendergründer Ted Turner, der stets schützend die Hand über Arnett gehalten hatte, seien dort „die Erbsenzähler am Ruder“: Korrespondentenbüros würden geschlossen, Leute rausgeworfen – und dafür inhaltlich zu viel Gewicht auf Klatsch und Tratsch gelegt. Arnett arbeitet mittlerweile für eine New Yorker Produktionsfirma, die „news on demand“ an verschiedene Sender liefert.

In seiner alten Firma hat CNN-Chef Walter Isaacson Mitte Oktober angewiesen, bei Bildern von Bombenpfern stets an den Terroranschlag vom 11. September zu erinnern. Arnett, der diesen Tag in New York erlebte, spricht höflich von „Überreaktion“. Er kann auch deutlicher werden: „Die Medien in den Vereinigten Staaten unterwerfen sich. Sie haben sich unglücklicherweise verkauft“, sagte er in einem Interview und wirft vor allem seinem alten Arbeitgeber Selbstzensur vor. In den nächsten Tagen will nun auch Arnett noch einmal nach Aghanistan. Wozu noch? Er hat selbst erwähnt, dass sich in der Region derzeit schon hunderte Kollegen auf die Füßen treten und doch keinen Zugang zu den US-Truppen haben. Doch Arnett will offenbar noch mal dabei sein, wenn sich ein vertrautes Thema weiter dreht. Mit den afghanischen Mudschaheddin war er in den 1980ern unterwegs, mit den sowjetischen Truppen auch. 1997 konnte er Ussama Bin Laden treffen, als der bereits zum Krieg gegen die USA aufrief. Viel Aufmerksamkeit habe das Interview (Text unter www.flinet.com/~politics/jihad/jihad.htm) damals nicht bekommen. Der Frust klingt nach: Amerika habe eben trivialere Interessen gehabt, als sich über die Drohungen eines Bartträgers aus einem fernen Land Gedanken zu machen.

Bei manchen Kollegen in Afghanistan vermisst er grundlegende Kenntnisse eines Kriegsreporters. Der Frust des Journalisten, der für seine Vietnam-Berichterstattung den Pulitzerpreis erhielt und den Fall von Saigon 1975 erlebte, ist unüberhörbar: Zu Ende ist endgültig die Zeit, als Reporter wie Arnett noch mit dem Bataillonschef aushandeln konnten, im Hubschrauber mit zum Einsatz zu fliegen, Augenzeuge zu sein.

Bei aller Nähe zum Geschehen legt Arnett Wert auf Abstand, den Journalisten auch in extremen Situationen halten müssten. Er mag sich so nicht zitieren lassen, aber indirekt kritisiert er Kollegen, die am 11. September vor laufender Kamera weinten. Das sei zu verstehen, natürlich – aber die besten Reporter sind für ihn jene, die ihre Gefühle für sich behalten

Was übrigens nicht heißt, dass er sich selbst immer an seine Regeln hält und auch entsprechend nüchtern formuliert. Aus El Salvador berichtete er von einem Luftangriff auf ein von Rebellen kontrolliertes Dorf so: „Letzten Sonntag bekam Tenancingo Besuch. Vom Tod. Er blieb den ganzen Tag, holte Kinder, Frauen und Männer.“