: Ladegeräte und Laudationes
Der Journalist und Dramatiker Moritz Rinke liest aus seinem Kolumnenband „Der Blauwal im Kirschgarten“ ■ Von Liv Heidbüchel
Auch wenn sich nicht jedes Gesicht für das Tragen schwarzer Hornbrillen eignet, ist der Gebrauch derselben nur noch als inflationär zu bezeichnen. Es gibt sogar Leute, die solche Gestelle aufsetzen, obwohl sie eigentlich gar keine Brillenträger sind. Da ist dann nur Plexiglas drin, was aber keiner weiß. Bei Moritz Rinke lässt sich nachlesen, dass ein Journalist diese speziellen, Intellektualität suggerierenden Brillen mal „Wim-Wenders-Brillen“ genannt hat. Dabei ehren ja auch Gedanken an Roger Willemsen den Träger.
Dass sich gerade Moritz Rinke mit diesen „betont schwarzen Brillengestellen“ befasst, ist allerdings ein wahrer Segen. Anlass für den Autoren und Dramatiker, der letzte Spielzeit mit Republik Vineta eine erfolgreiche Auftragsarbeit für das Thalia Theater ablieferte, war zwar eine Reportage über das Kaffee Burger in Berlin, aber die Stichelei in Richtung Hornbrillen lag da auf dem Weg. Genauso wie die Bemerkungen über betont schwarze Kleidung als Zeichen der Coolness als solcher oder das Aufsetzen von Mützen erst wenn man das Café betritt.
Zu all dem formuliert Rinkes Ich-Erzähler eine wohltuend unverkrampfte Haltung. Hier gibt einer zu, dass diese zur Schau getragene Unangepasstheit bei Menschen in Cordhosen und Jackett mitunter zu großer Verunsicherung führt, aber auch zur nüchternen Erkenntnis: „Ich glaube, so etwas nennt man Szene.“
Dieser Ton trägt Rinkes Reportagen, Kolumnen, Glossen und Laudationes, die der Band Der Blauwal im Kirschgarten versammelt. Erschienen sind diese in den letzten Jahren vornehmlich im Tagesspiegel und der Zeit, aber auch in Theater heute und Literaturen. Auch wenn sich Rinke gegen das explizit Szenige sträubt und es ihn sogar einschüchtern mag: Als mehrfach ausgezeichneter Journalist und immer häufiger gespielter Dramatiker gehört er selbst zur Branche.
Glücklicherweise völlig frei von Dünkel nimmt er die Leser mit ins Geschehen rund ums Theater und seine Darsteller. Ganz groß ist etwa „Los, du Sack, fotografier' mich“, eine Reportage über die Gala zur Verleihung der Goldenen Kamera. Schon die Ausgangssituation ist absurd: Mario Adorfs Handy ist leer, Moritz Rinke jedoch – das muss man so hinnehmen – hat ein passendes Ladegerät, und so wollen sich die beiden vor Beginn der Festlichkeiten treffen.
Das kann ja gar nicht klappen. Dafür irrt Rinke ein paar Minuten auf dem roten Teppich zwischen Stars und Fotografen umher, versagt stammelnderweise und einmal mehr nur mit Cordhosen und Windjacke bekleidet kläglich vor der bezaubernden Kate Winslet, steht der erbosten Ulla Kock am Brink im Weg, hat dabei Angst um seinen guten Ruf als Schriftsteller, vergisst seinen Auftrag von Angesicht zu Angesicht mit Jugendidol Günter Netzer – und macht daraus ganz schamlos eine aufgeregt-komische Geschichte.
Es ist die Ungestelztheit des Stils, die das Lesen kurzweilig macht, ohne jedoch schnell vergessene Plattitüden zu servieren. Dafür sorgt allein die Zusammenstellung, die auf ein breites Spektrum bedacht ist. Amüsante Beobachtungen über das Treiben in der Hauptstadt sind längst nicht alles, womit Der Blauwal im Kirschgarten aufwartet. Immer sehr persönlich und dabei überaus charmant und ernsthaft sind eine ganze Reihe von Rinkes Glückwünschen etwa an „Die Jahrhundertfrau“ Marianne Hoppe oder an den jüdischen Schriftsteller Konrad Merz zum 90. Geburtstag. Oder der traurige Nachruf auf Ulrich Wildgruber.
Und dass auch der Fußballer in Rinke immer wieder durchbricht, lässt den Leser am Wissen teilhaben, dass Michael Preetz (Hertha BSC) beim Flug nach München vor Moritz Rinke sitzend einmal wider Erwarten in den Literaturteil der Zeitung versunken war. Überhaupt Fußball: Rinkes seit Jahren unveränderte Frisur hängt nach eigenen Angaben mit Helmut Rahn zusammen. Am Sonntag nun liest Rinke aus seinen Kolumnen – vielleicht ja sogar in Cordhosen und mit Hornbrille.
Sonntag, 19 Uhr, Thalia/Bar Nachtasyl
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