piwik no script img

Bis an die Schmerzgrenze

Rundlicher Mann rudert über den Bildschirm: Das Acco-Theater verarbeitet in „Short cut to god“ den israelischen Medienalltag mit berührenden Figuren und schlechten Witzen

Im israelischen Acco gründete Ende der 80er-Jahre eine Gruppe von Theaterleuten das Acco-Theater-Center. Für israelische Verhältnisse außergewöhnlich war, dass hier arabische und israelische Schauspieler gemeinsam arbeiteten. Themen waren die Widersprüche im Selbstverständnis des israelischen Staates.

Dabei hatte das Acco-Theater immer beides im Blick: die Spuren der Geschichte in den Seelen und den offiziellen Umgang damit. Besonders der Schauspielerin Smadar Yaaron sind immer berührende Figuren gelungen. In „Anthologia“, das in diesem Jahr während der Jüdischen Kulturtage wieder zu sehen war, spielte sie eine Holocaust-Überlebende, die ihr Opfer-Sein kultiviert bis an die Schmerzgrenze. „I lab You“ hieß ein anderes Projekt. Nachkommen israelischer Holocaust-Überlebender interviewten Nachkommen der deutschen Tätergeneration.

Hier knüpft auch das jüngste Projekt an, das als work-in-progress im Rahmen der Kulturtage zu sehen war: „Short cut to god“. Wir sind mitten im israelischen Medienalltag gelandet. Jedenfalls suggeriert das die Leinwandprojektion, auf der israelische Fernsehspots zu sehen sind. Zwischendurch kommentiert CNN das aktuelle Geschehen. Dann fliegt ein älterer, rundlicher Mann rudernd über den großen Bildschirm, und als das Licht angeht, sehen wir ihn als Talkmaster auf einem der Stühle sitzen. Neben ihm die Dolmetscherin, dann Theaterleiter Moni Yosef und Smadar Yaaron. Dazu kommen vier Deutsche aus dem Publikum, die aber vorher gecastet waren. Ein Prolog lässt noch einmal eine typische Smadar-Yaaron-Figur aufblitzen: eine Frau beginnt, sich in furchtbare Vergewaltigungsszenen hineinzusteigern. Die Vergewaltiger sind mal Palästinenser, mal Afghanen, und das Ganze ist natürlich alles andere als glaubhaft.

Der Rest des Abends ist gedanklich so arm, dass man eigentlich den Mantel des Schweigens darüber ausbreiten müsste. Der Talkmaster will aus den deutschen Gästen Statements und Empfindungen zu ihrem Deutschsein hören. „Was assoziieren sie mit dem Wort: Ausländer!“ „Freunde!“, kräht es politisch korrekt aus dem Mund von gleich zwei Teilnehmern. Bloß eine ältere Dame hält das für „ein schwieriges Thema“. Dafür entpuppt sie sich aber im weiteren Verlauf als Trauerarbeiterin erster Güte, tischt sofort eine Geschichte auf, wie sie sich als Kind vom jüdischen Hausarzt verabschiedete und im Krieg als Feuerwehrhelferin Körperteile von Bombenopfern einsammelte. Das ist dann den Israelis zu viel, und sie müssen klarstellen, dass sie hier bitte schön die Rolle der Opfer einnehmen. Dann kommen ein paar schlechte Bin-Laden-Witze, die in noch schlechtere Judenwitze übergingen. Überall gibt es dieselben Witze, mit der man Minderheiten diskriminiert, sagt Moni Yosef. Jetzt geht es vielleicht endlich zur Sache, denkt man. Aber da ist der Abend zu Ende. ESTHER SLEVOGT

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen