: Es fällt in die Welt
Und weiß ist der Scheiß: Heute Abend spielen, singen, reimen und beglücken die Aeronauten aus der Schweiz im Bastard im Prater mit deutschsprachigen Liedern und einer schönen Mischung aus Ska, Blues, Rock und Country
Wenn man aus der Schweiz kommt, ist man nicht immer reich, man ist nicht immer provinziell, und man will auch nicht auf Käse, das Bankgeheimnis oder Swatch angesprochen werden. Denn nicht jeder Schweizer will ein Klischeeschweizer sein müssen. Wenn man also so einer ist, der so ein Schweizer nicht ist, dann spielt man vielleicht in der fünfköpfigen Band Die Aeronauten und macht mit dieser Band ganz unverkrampft Weltklassemusik, schließt sich der Hamburger Schule an, tourt wie wild und zieht trotzdem nicht weg aus der Schweiz.
Die Aeronauten haben es bereits auf der ersten Platte, die nach einem beliebten Hobbymodelleisenbahnermaß „1:72“ hieß und 1993 erschien, geschafft, eine gute Platte mit Bläsersätzen (!), abzuliefern, die zudem all diejenigen, die bei Liedern auch auf die Texte achten, in Erstaunen versetzen konnte. Bei dem Lied „Bettina“, in dem es darum geht, dass ein betrunkener Kneipengänger sich in die Kellnerin verliebt hat, sie aber bereits mit einem anderen geht, heißt es nach einer langen Liste von Vorwürfen endlich großartig: „Ich zünd mich an/ und du bist dran schuld“. So wie sie in diesem Song die Dummheit und Wehleidigkeit der Trinker und Bohemiens erkannt haben, haben sie es auch in ihren weiteren Songs in den Neunzigern getan, die immer mit den famosen langsamen und so gewollt unspektakulären, so schön gleitenden Bläsersätzen arbeiten, für die die Aeronauten berühmt sind.
Der allerschönste Song, den die Aeronauten aufgenommen haben, ist der Song „Schnee“ von 1995. Er behandelt die Sehnsucht eines kleinen Jungen, der hinaus in die Schneelandschaft fliehen will, wohl um das zu erleben, was die Erwachsenen erleben. Ein sehr schön gesungenes, knapp am Kitsch vorbeischrappendes „Schnee fällt in meine Welt/ Schnee macht alles still und hell?“, bildet den Refrain, der Song wird allerdings durch ein trotziges „Kaltes Weiß/ bedeckt den Scheiß“ abgeschlossen. Und er darf unzweifelhaft zu den schönsten deutschen Liedern gezählt werden. Wie man sieht, hier schreibt ein Fan.
Vor einem Monat nun ist die neueste, mittlerweile fünfte Platte der Aeronauten erschienen, sie heißt „Bohème Pas De Problème“. Auch hier gibt es wieder die gewohnte Mischung aus Ska, Blues, Rock und Country, die als einzelnen Bestandteile so sehr in jedem Song verrührt sind, dass man gar nicht mehr identifizieren kann, was was ist. Es ist halt der typische Aeronauten-Sound, der dabei herauskommt. Dazu gesellt sich die schöne, mit den Jahren immer besser werdende Stimme von Oliver Maurmann, der ja auch als Guz auf Solopfaden wandelt. Allerdings ist „Bohème Pas De Problème“ das bislang glatteste Aeronauten-Album geworden, die schönen Stücke allerdings ersaufen im Arrangement und in der konservativen Produktion, und auch die Texte sind nicht mehr so witzig, wie sie es früher waren.
Die Aeronauten, so singen sie auf dieser Platte, haben sich inzwischen von der Boheme, deren Lebensweise verabschiedet und von deren „Geheul“, allerdings haben sie damit auch einen Gutteil ihrer Bedeutsamkeit verloren. Sie haben kaum mehr als eine angenehme Platte gemacht, ein vielleicht angemessener Schritt hin in Richtung Alterswerk, für die Fans der Aeronauten jedoch ist es schwerlich ein Fortschritt. Die Aeronauten machen’s somit freiwillig ruhiger, als sie müssen. Auf der Bühne jedoch steht etwas ganz anderes zu erwarten. Wer je die Aeronauten live gesehen hat, weiß, wie sehr diese Band mitreißen will und kann, ein geiles Konzert wird heute Abend also zu erwarten sein. Und das lohnt sich allemal.
JÖRG SUNDERMEIER
Heute, 22 Uhr, im Bastard im Prater, Kastanienallee 5–7, Prenzlauer Berg
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