: Die unsichtbaren Nachbarn
Die Bürger von Calw leben Tür an Tür mit den Elitesoldaten von dem KSK. Sie wissen, dass die Kämpfer da sind. Und dass sie nichts darüber wissen dürfen
aus Calw KIRSTEN KÜPPERS
Die Elitetruppe der Deutschen Bundeswehr, das ist schon etwas. Eine Attraktion, für die man Besucher raus auf die Terrasse des Eigenheims führt, der Finger zeigt hoch nach oben hinters gelb geklinkerte Haus. Unten läge ein schönes, weites Schwarzwaldpanorama zum Angeben bereit, mit dunklen Tannen und hellen Siedlungsflecken dazwischen, aber die Hand lenkt den Blick steil nach hinten. Weil über dem Hang das stattfindet, was die Gegend hier wirklich interessant macht: kleine schwarze Punkte, die vom blauen Himmel heruntersegeln. „Das sind die Jungs“, verkündet Godecke Westphal, „wir sind ja praktisch Nachbarn“.
Westphal ist Rentner und engagiert sich im örtlichen Schützenverein. Er hat eine besonders gute Aussicht auf die jungen Männer, von denen derzeit alle reden: das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr. Der 58-jährige lächelt und zupft an seiner Freizeithose, als erwarte er Anerkennung für diese Nachbarschaft. Denn es ist schon so, dass mit den Punkten in der Luft auch ein wenig Wichtigkeit auf einen selbst herunterfällt: Dass diese Jungs bei ihm hinter der Hecke ihre Fallschirmsprünge üben, das ist etwas, das Godecke Westphal Gästen gerne präsentiert.
400 Mann des KSK sind seit 1996 in der Graf-Zeppelin-Kaserne im baden-württembergischen Calw am Rande des Schwarzwalds stationiert. Für die 100 Mann „Spezialkräfte“, die der Bundestag für den internationalen Anti-Terror-Krieg bereitgestellt hat, gelten die Soldaten des KSK als erste Wahl. Damit hat das KSK dem gut 23.000 Einwohner zählenden Städtchen Calw eine plötzliche Bekanntheit eingebracht, diesem Winkel zwischen den Tannen, ohne Autobahnanschluß; dem Geburtsort von Herrman Hesse, wo sich spitze Fachwerkhäuser ineinander schachteln und die Gewässer Wurstbrunnenbach oder Schweinbach heißen.
Ein Mann verschwindet
Die Menschen, die mit der Elitetruppe Tür an Tür leben, haben eine seltsame Beziehung zu ihren Nachbarn oben am Berg. Sie sehen einige der Soldaten maskiert und in voller Montur im Fernsehen posieren oder lesen in Zeitungsartikeln, dass sie im Dschungel und in der Antarktis trainieren. Immer wieder lesen und hören die Calwer auch den Namen ihrer Stadt: Calw, Standort der „härtesten Kämpfer“ . Sie werden darauf gestoßen, dass sie eigentlich mehr wissen müssten als der Rest der Republik. Aber die Kommando-Truppe hat Stacheldraht um die grün gestrichene Kasernenbauten gezogen, Warnschildern und lange Zäune schützen vor zuviel Nähe. Angehörige des KSK müssen selbst Freunden und Verwandten gegenüber über ihre Arbeit schweigen.
Die Calwerin Erika Bay kennt die Bedingungen. Als der Mann im Haus gegenüber plötzlich verschwand, erzählt die 60-Jährige, wusste keiner – auch die Ehefrau nicht –, ob er zum Manöver gerufen wurde oder zum Einsatz. Nicht einmal, ob er zur Kommunion des Sohnes da sein würde, hat die Familie erfahren. Erika Bay verkauft seit vielen Jahren am Calwer Marktplatz fair gehandelten Kaffee und geflochtene Körbe aus Nigeria. Sie trägt die Haare modern kurz geschnitten und hat eine große Toleranz in ihrem Herzen wohnen. Aber wenn sie über das KSK spricht, kneift Erika Bay ihre Augen zu engen Schlitzen zusammen. Weil soviel Heimlichkeit ungewohnt ist in der Kleinstadt. Und wie soll eine Ehe das aushalten? Erika Bay zieht den Kopf in die Schultern. Irgendwann sei der Mann wiedergekommen, sagt sie. Wo er gewesen ist, weiß niemand.
Eine Ahnungslosigkeit schwebt mit dem Spezialkommando über Calw. Die Abschottungspolitik der Bundeswehr wirkt. Die Menschen im Ort können von den Hubschraubern sprechen, die schwarze Punkte hinten auf den Hang regnen lassen. Aber niemand weiß mehr. Der sanfte katholische Pfarrer im Gemeindehaus nicht, der Optiker in seinem Laden nicht und auch die aufgedrehten Teenager vom Jugendzentrum haben nichts gesehen. Die Betrunkenen, die in langen Mänteln und mit Bierdosen in der Hand am Bahnhof stehen, sagen: „Wir treffen die Soldaten nie“. Die KSK-Elitetruppe organisiert für die Leute keinen Tag der Offenen Tür, wie es das Fallschirmbattaillon getan hat, das hier früher stationiert war. Sie baut auch keinen Stand am Volksfest auf, zieht nicht als uniformiertes Grüppchen ins Gasthaus. Selten brause ein Militärfahrzeug durch die Straßen, erzählt ein Mann in der Fußgängerzone. Wenn er in der Sauna sitzt, oder bei der Massage, sagt ein anderer, da denke er manchmal, ja, der gegenüber, das könnte ein KSKler sein. Eine Mutmaßung ist das, mehr nicht.
Einige in Calw würden in diesen Zeiten gerne mehr erfahren über das KSK, sagt der Oberbürgermeister Werner Spec. Die Bürger seien ja schließlich „hautnah an ihnen dran“, sagt der 43-Jährige, die Kinder des KSKler gehen in Calw zur Schule, die Leute sorgen sich um die Soldatenfrauen. Spec ist ein beliebter junger Oberbürgermeister, einer der Gäste seines Rathauses auch mal in Strickjacke empfängt und gern erzählt, dass die Elitetruppe in Calw willkommen sei. Er spricht von einer „positiven Einstellung zum KSK“ in der Bevölkerung, weil das Wort Anteilnahme wohl schon zuviel wäre, wegen der Kontaktsperre. „Wir haben wenig Verbindung, die KSKler dürfen ja nicht erkennbar an unserem Leben partizipieren“, erklärt Werner Spec.
Man hat den Eindruck, der Oberbürgermeister bedauert, dass die Gefühle seiner Bürger zum KSK ständig ins Leere laufen. Über die Truppe würde er selbst gern bestimmt genauso stolz berichten, wie über die Holzhackschnitzelanlage, die das Neubaugebiet mit Wärme versorgen wird. Aber: „Die Soldaten dürfen sich ja nicht öffnen“, sagt Spec, „leider“. Seine Stimme klingt hilflos.
Die Geheimniskrämerei um die Kaserne am Berg ist zu einer merkwürdigen Gepflogenheit in Calw geworden. Man nimmt sie schulterzuckend hin, der Preis, den die Menschen hier zahlen müssen, wenn der Staat sich eine solche Einsatztruppe leistet. „Die Jungs können nur funktionieren, wenn sie anonym sind“, erklärt der Renter Godecke Westphal geschäftig. Die Wände seines Wohnzimmers sind mit Waffen dekoriert, er ist seit über 20 Jahren im Schützenverein aktiv, früher war er im Unternehmensschutz tätig, er kennt sich aus mit Sicherheitsmaßnahmen.
Mit dem Kommando Spezialkräfte hat Deutschland endlich den Anschluss an die Weltspitze erreicht, findet Westphal. „Unsere Jungs sind auch nicht schlechter als die Elitetruppen der Amerikaner“. Es sei „höchste Zeit, dass die deutsche Sonderrolle endlich aufhört“. Er sage das auch, fügt Westphal an, weil er wisse, dass nicht alle hier dieser Meinung seien.
Universal Soldier auf schwäbisch
Zum Beispiel die rund 60 Demonstranten, die in der kaltfeuchten Dämmerung dieses Nachmittags vor die Absperrgitter der Graf-Zeppelin-Kaserne gezogen sind. „Soldaten sind Mörder“ und „Kommando Spezialkräfte auflösen!“, steht auf ihren selbstgemalten Transparenten. Eine Initiative aus Heidelberg hat sich die Aktion ausgedacht, aus Tübingen sind Studenten mit bunten Haaren angereist, versprengte Reste der Friedensbewegung haben sich von den Dörfern aufgemacht. Ein Mann mit Nickelbrille und Gitarre singt die schwäbische Version von „Universal Soldier“. Das alles ist zu wenig, um großes Aufsehen zu erregen. Der Reporter vom Schwarzwälder Boten sammelt ein paar Stimmen ein, aber die Demonstranten wissen, dass auch Kritik bei dem KSK auf keine Regung stößt. Die Soldaten in Uniform, die hinter der Absperrung stehen, verziehen keine Mine. Kurz darauf verabschieden sich die wenigen Calwer, die zum Protestieren gekommen sind. „Grüß daheim, gell!“
Später am Abend füllen rund 80 Menschen die Stuhlreihen im Saal des Hermann-Hesse-Museums. Eine Veranstaltung zum Thema „Das KSK und der Krieg in Afghanistan“. Ein Tübinger Politologe beklagt die „Remilitarisierung der deutschen Politik“. Wenn Kommandotruppen da seien, würden sie auch genutzt, – kurz, das KSK gehöre abgeschafft. Die Leute klatschen. Ein alter Mann im Wollpullover hat noch eine Nachfrage, aber im Grunde ist man sich in dieser Runde aus Gewerkschaftern, Basisgrünen, Müttern und Mitgliedern der evangelischen Kirchengemeinde einig gegen den Krieg. Nur ein junger Kerl mit Kurzhaarfrisur, bemerkt mit schnarrender Stimme: „Ich halte das alles für reichlich naiv, was Sie da sagen.“ Auf dem Nachhauseweg werden die anderen flüstern: „Der war bestimmt von dem KSK.“ Als ob sie sich wünschen, dass die Männer einmal vom Hang zu ihnen herunterkommen.
Enttäuschte Hoffnungen
Als die Bundeswehr Mitte der 90er-Jahre, den Fallschirmjägerstandort Calw schließen wollte und das Verteidigungsministerium sich dann doch für die Stationierung einer Kommandotruppe entschied, hofften viele auf wirtschaftliche Impulse für die Stadt. Doch auch in dieser Hinsicht gibt es kaum Kontakt: Das Gelände wurde von fremden Firmen saniert, ihre Lastwagen lassen die Männer nicht von den Werkstätten im Ort reparieren, und auch sonst wird die Truppe aus Sicherheitsgründen überwiegend zentral von der Bundeswehr ausgestattet. Etliche Handwerksbetriebe und Einzelhändler seien enttäuscht, sagt der Oberbürgermeister Spec. Am Ende mache man sich mit der Kaserne noch selbst zum Ziel eines Anschlages, hätten nach dem 11. September einige in der Stadt geschimpft. Der Oberbürgermeister hustet verlegen.
Mit der Elitetruppe oben am Berg mag also kein rechtes Glück aufkommen. Keine Chance auf Freundschaft für die Verkäuferin Erika Bay, keine Chance auf Geld für die ansässigen Betriebe, nicht einmal ein Feindbild für die Demonstranten. Darum verlässt sich die Bevölkerung in Calw inzwischen lieber auf die zweite Besonderheit ihres Ortes. Nächsten Sommer feiert die Stadt den 125. Geburtstag von Hermann Hesse. Da gibt es Dinge zum Anfassen und Sehen: Ausstellungen, Vorträge, Lesungen, Konzerte. Der Oberbürgermeister meint, das beschäftige die Menschen hier mehr als das KSK. Die Betrunkenen am Bahnhof haben das auch gesagt.
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