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Die Wahrheit und der Wahrheitklub

Die folgende Mitteilung des Wahrheitklubvorstands darf nur von Vollmitgliedern gelesen werden. Nichtmitgliedern ist es strengstens untersagt, den Textinhalt zur Kenntnis zu nehmen“ – so oder ähnlich beginnen meist die Texte über den Wahrheitklub. Und dieser strenge, autoritäre Tonfall ist zumindest aus Vorstandssicht sehr angenehm. Einerseits ist er sicherlich eine Parodie auf verdammt ähnliche Organisationsstrukturen wie etwa das DDR-Politbüro und seine Verlautbarungsorgane, andererseits muss man ja irgendwie die rund 1.200 Mitglieder unter Kontrolle halten. Es ist nämlich eine sehr ernste Angelegenheit, Mitglied in einem Klub, zumal dem Wahrheitklub, zu sein. So ernst, dass manche Mitglieder treu und redlich jeden Quatsch mitmachen, den der Vorstand vorgibt.

Der Wahrheitklub ist eine Mischung aus Micky-Maus- und Lions Club. Nur dass diesem Klub, der aus einer taz-Seite hervorgegangen ist, das entsprechende Vermögen fehlt. Was allerdings auch Ansporn ist: Eines Tages wird der Wahrheitklub ein klubeigenes Gebäude besitzen, mit Bibliothek und Rauchzimmer und guter Küche. Eines ferneren Tages. Der Vorstand arbeitet daran.

Manche Spötter betrachten den Wahrheitklub auch nur als Ausrede, damit zu gegebenem Anlass Unfug getrieben werden kann. Etwa auf der Frankfurter Buchmesse, in deren halboffiziellen Programm zum Beispiel der Bauch-Contest inzwischen ein Höhepunkt ist. Zum ordentlichen Bauchwettbewerb kommen die wohlgenährtesten und meist männlichen Mitglieder zusammen und überprüfen den Umfang ihrer Bäuche. „Bauch-Contest ist ein Spiel für 22 Männer, und am Schluss gewinnt immer Ralf Sotscheck, die irische Elfe“, heißt inzwischen ein altes gälisches Sprichwort.

Wer anders als der Wahrheitklub könnte rund 1.200 Mitglieder zu solch runden Taten anstiften? Eben! Niemand. Schlimmer noch. Unter den Wahrheitklubmitgliedern finden sich immerhin einige sehr seriöse Menschen, die nie, nie im Leben etwas Unseriöses anstellen würden. Wir wollen jetzt keine Namen nennen, aber das Wahrheitklubmitglied Nummer 0000000684 zum Beispiel ist im ehrwürdigen Berliner Schuldienst tätig, kann aber nicht anders und schenkt den Vorstandsmitgliedern gern wunderbar seltsame Dinge wie beispielsweise eine Schneekugel mit einer Teletubby-Figur. Überhaupt das Geschenkwesen: Auch wenn es immer wieder nach Aufforderung zur Bestechung aussieht, wenn der Vorstand von den Mitgliedern Zigarren einfordert, es ist nur eine erzieherische Maßnahme: Wahrheitklubmitglieder müssen großzügig und selbstlos sein. So steht es in den ungeschriebenen Gesetzen des Klubs. Wer meckert oder nöckelt, dem wird ohne viel Federlesens, nach vorheriger Verwarnung, die Mitgliedschaft entzogen. Allerdings musste der Vorstand erst einmal zu einer solchen Maßnahme greifen, und 0000000501 hatte es verdient, wie Wahrheitklubmitglieder den Mitteilungen des Wahrheitklubvorstands, die nur sie lesen dürfen und sonst niemand, entnehmen konnten. Wie wir 0000000501 kennen, wird er trotzdem versuchen, sich mit seinem ungültigen Wahrheitklubausweis beim Wahrheit-Fest einzuschleichen, aber, Herr Holm: Man wird Sie erkennen und bei dieser Gelegenheit auch endlich Ihren Wahrheitklubausweis einziehen.

Dass Harry Rowohlt übrigens Mitglied in nur zwei Vereinen ist, nämlich im Wahrheitklub und im Arbeiter-Samariter-Bund, das ist sehr schön.

MICHAEL RINGEL

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Wahrheit-Redakteure, die an dieser Beilage zum 10. Geburtstag beteiligt waren:Mathias Bröckers (1991)Barbara Häusler (1996–2000)Hans-Hermann Kotte (1994–1996)Michael Ringel (seit 2000)Carola Rönneburg (1996–2000)Corinna Stegemann (seit 2000)Karl Wegmann (1991–1995)

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