: Schamlose Verherrlichung
Recherchieren, berichten, analysieren, zusammenfassen, kommentieren – das können alle Journalisten. Aber den Leser einmal am Tag kichern lassen?
Wie man aus den inzwischen erfreulich vielen taz-Jubiläumsfestschriften weiß, fühlen sich ehemalige taz-Mitarbeiter der taz auch dann noch verbunden, wenn sie schon längst woanders arbeiten. Zwar schwingt immer etwas Wehmut mit, wenn sie sich an die alten Zeiten erinnern, an flache Hierarchien und selbstständiges Arbeiten, aber nur die wenigsten würden ihren Tariflohn wieder aufgeben wollen, um an einen Schreibtisch in der Kochstraße zurückzukehren. Schließlich können sie auch in ihrem neuen Job das tun, was sie schon immer getan haben: recherchieren, berichten, zusammenfassen, kommentieren – also einem allgemein überbewerteten Handwerk nachgehen.
Ehemalige Wahrheit-Redakteure hingegen können, wenn sie die taz verlassen, nie wieder eine vergleichbare Arbeit finden: Die Wahrheit ist die einzige Zeitungsseite Deutschlands, die sich täglich der Komik, der Satire und der Polemik widmet. Und sie wird es auch weiter bleiben. Andere Zeitungen haben von der taz stets übernommen, was ihnen nützlich erschien: journalistische Formen genauso wie gestalterische Elemente oder den Hang zu bizarren Überschriften – eine Seite wie die Wahrheit unterzubringen, dafür fehlte ihnen jedoch immer der Mut. Lieber hält man sich einen Glossenwart, der dann und wann auch einmal scharfe Töne anschlagen darf, dessen kleiner Text aber auch schnell aus dem Blatt geräumt oder ersetzt werden kann, wenn es nötig scheint.
Das heißt selbstverständlich nicht, dass die gesamte taz ihre Wahrheit liebt und vorbehaltlos unterstützt. Manch einer hätte manchen Text der Wahrheit gern niemals im Blatt gesehen: Was komisch ist, darüber gehen die Meinungen oft auseinander. Solange aber die Redaktion der letzten Seite diese Entscheidung fällt, ist das ja nicht weiter schlimm. Außerdem ist es ja auch nicht so, dass die Wahrheit die taz liebt. Manch einen Text hätte sie gern niemals im Blatt gesehen; nicht zuletzt weil ihr das dann zusätzliche Arbeit bereitet. Wenn in der restlichen Zeitung Einigkeit darüber herrscht, dass Serbien zu bombardieren sei; wenn im Leitkommentar steht, man müsse Tote unter den afghanischen Zivilisten hinnehmen, damit Westerwelle in der Opposition bleibt – dann müssen Wahrheit-Autoren Überstunden machen. Zum Glück hilft etwa Wiglaf Droste, dessen Freitagskolumne unverzichtbarer Bestandteil der Wahrheit ist, in solchen Fällen gern: Es ist ein dreckiger Job, aber einer muss ihn tun.
Überhaupt, die Wahrheit-Autoren: Ohne sie käme allenfalls eine wöchentliche Satireseite zustande. Täglich meldet sich mindestens einer von ihnen in der Wahrheit-Redaktion und hält seine Betreuer über die aktuellen Zumutungen auf dem Laufenden: Wer gerade wieder etwas besonders Dummes gesagt oder geschrieben hat, welches Foto man unbedingt ansehen muss, wessen bierbetriebener Rasenmäher unbedingt der Öffentlichkeit vorgestellt werden sollte. Alsdann setzen sie sich an ihre Schreibgeräte und dichten, betrachten wirre Grafiken und kolumnieren, was das Zeug hält. Das soll ihnen erst einmal einer nachmachen!
Das wollte ihnen vielleicht auch einer nachmachen, aber der wüsste dann wohl kaum, wo er diese Texte unterbringen sollte. Denn wie gesagt: Die Wahrheit ist die einzige tägliche Satire-Seite Deutschlands. Kein Wunder also, dass Sie auf den folgenden Seiten die Namen vieler ehemaliger Wahrheit-Redakteure finden. Und kein Wunder auch, dass durch ihre Zeilen viel Eigenlob schimmert: während die taz bei jedem ihrer Jubiläen – und bei jeder ihrer finanziellen Krisen – reichlich Anerkennung erfährt, findet die Wahrheit höchstens eine freundliche Erwähnung. Wir konnten also gar nicht anders, als uns wenigstens einmal ordentlich rundum zu preisen. Alles muss man selber machen! Und wer jetzt denkt, na gut, die einzige Satireseite Deutschlands steht in der taz, da sollen die sich doch freuen, wenn sie das überhaupt machen dürfen, dem sei gesagt: Richtig – ohne die taz gäbe es die Wahrheit nicht. Ob es allerdings ohne die Wahrheit die taz noch gäbe?
Zum Schluss gilt es, den Mann zu würdigen, der unermüdlich für die Wahrheit im Einsatz ist: ©Tom, den Zeichner des „einzigen kontinuierlichen Zeitungscomics von Niveau“, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung vollkommen richtig schrieb. Ohne die Inspiration und den Witz von ©Tom wäre die Wahrheit nichts. Er ist, wie die Süddeutsche Zeitung sagt, „die Seele der Wahrheit“. Und der taz, möchte man ergänzen. Dass eben jemand wie ©Tom mit seinen, wie er sie selbst bescheiden nennt, „Witzbildchen“ seit zehn Jahren den Freunden der gepflegten Albernheit einen schönen Tagesbeginn beschert, das sollte der gesamten taz eine Inspiration sein: mehr kichern. Wenigstens sechsmal pro Woche.
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