Zweite Revolution für die Frauen

Das türkische Parlament beschließt eine umfassende Reform des bürgerlichen Gesetzbuchs, die die Lage der Frauen entscheidend verbessert. So ist das Familienpatriachat abgeschafft und bei Scheidungen gilt jetzt das Zugewinnprinzip

aus ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH

Nach jahrelangen Debatten hat das türkische Parlament am Donnerstagabend eine grundlegende Reform des Bürgerlichen Gesetzbuchs beschlossen. Die wichtigsten Änderungen dabei betreffen die Stellung der Frau in der Familie. Ab dem 1. Januar 2002 ist es mit der männlichen Vorherrschaft in der türkischen Familie endgültig vorbei. Ab dann ist nicht mehr der Mann der Haushaltsvorstand, der über die Geschicke der gesamten Sippe bestimmt, sondern Mann und Frau entscheiden gleichberechtigt über alle Belange der Familie.

„Die zweite Revolution für die türkische Frau“ nannte deshalb die größte Zeitung Hürriyet die Reform und bezog sich damit auf die erste Befreiung der Frau bei Gründung der Republik 1924, als Frauen bereits das Wahlrecht zugesprochen bekamen. Die jetzige Reform regelt fast alle Belange im Geschlechterverhältnis neu und passt das türkische Recht weitgehend westeuropäischen Vorbildern an.

Die Abschaffung des Familienpatriarchen bedeutet, dass die Frau nun selbstständig entscheiden kann, ob sie berufstätig sein möchte und ob sie bereit ist, in das Haus, das heißt in die Familie des Mannes zu ziehen, was vor allem auf dem Land gang und gäbe ist. Ebenfalls für die Verhältnisse auf dem Land wichtig ist die Heraufsetzung des Heiratsalters. Sowohl Männer als auch Frauen müssen nun volljährig, also 18 Jahre alt sein, wenn sie heiraten. Bis jetzt durften Mädchen bereits mit 15, in Ausnahmefällen sogar mit 14 Jahren heiraten, was häufig dazu führte, dass sie von ihren Familien oft mit wesentlich älteren Männern verheiratet wurden, ohne überhaupt gefragt zu werden.

Für Frauen besonders wichtig und deshalb auch während der langen parlamentarischen Beratungen besonders umstritten, ist das neue Scheidungsrecht. Während die Frau bislang nach einer Scheidung fast immer mittellos dastand und praktisch wieder auf ihre Eltern angewiesen war, gilt ab jetzt das Zugewinnprinzip. In der Regel wird der gesamte Besitz nach der Scheidung geteilt. Wie in Deutschland können die Ehepartner aber bei der Heirat auch einen Ehevertrag abschließen, in dem Gütertrennung oder eine andere spezielle Aufteilung des gemeinsamen Besitzes vereinbart wird.

Die größte Niederlage für die Frauenlobby, die deshalb auch noch einmal an Staatspräsident Sezer appelliert hat, dem Gesetz so nicht zuzustimmen, ist, dass diese Regelung rückwirkend, also für alle bereits bestehenden Ehen nicht gilt. Auf Druck vor allem der mitregierenden ultrarechten MHP, wurde für alle bereits vor dem 1. Januar 2002 abgeschlossenen Ehen der Status quo festgeschrieben. Für Scheidungen gilt nun in der Regel das Zerrüttungsprinzip, in einigen Fällen aber weiter das Schuldprinzip.

Schuldig geschieden werden Ehebrecher(innen) und Männer, die ihre Frauen schwer misshandelt haben. Im Falle einer schuldhaften Scheidung ist der Partner nicht unterhaltspflichtig. Ansonsten gilt wie in Deutschland: Unterhalt zahlt der Partner, der besser verdient. Sollte das die Frau sein, ist ab jetzt auch der Mann unterhaltsberechtigt. Von großer gesellschaftlicher Relevanz ist auch die Gleichstellung unehelicher mit ehelichen Kindern, und die erneute Festschreibung, dass Ehen, die lediglich vor einem Imam geschlossen wurden, ungültig sind.

Das Sorgerecht für die Kinder bekommt im Falle einer Scheidung in aller Regel die Mutter, allerdings kann der Richter in Streitfällen auch anders entscheiden. Nicht durchgekommen im Parlament ist die rechtliche Anerkennung homosexueller Partnerschaften. Auch Geschlechtsumwandlungen wurden erschwert und bedürfen jetzt einer ausdrücklichen ärztlichen Genehmigung.