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Die Erotik des Großstädters

■ Die Telekom verabschiedet sich von ihrer Rolle als Trendsetter

Die auf Samtpfoten heranschleichende Amerikanisierung des Zeitgeistes drängt dem modernen Großstädter eine besondere Erotik auf. Der Stadtmann nimmt sie gern an. Längst schon kann der erfolgreiche junge Langmantel-Träger in Bremer Cafés und Backstuben zwei große Latte macchiato to go bestellen. Und wirklich hält manchmal ein Wagen, wenn er winkend auf die Fahrbahn tritt und „Taxi“ ruft.

Was sich jetzt die magentafarbenen Telekommata ausgedacht haben, passt leider so gar nicht in unser schönes Klischee. An drei Stellen in Bremen – am Hauptbahnhof, am Flughafen und in der Lloydpassage – stehen seit kurzem so genannte „Telekioske“ mit Internetanschluss. Doch beim Surfen im Bahnhof sieht man so gar nicht cool aus. Der eilende Reisende übersieht den „Telekiosk“, der irgendwo zwischen Gleis 3 und Gleis 9b steht. Doch soll auch eher der Wartende angesprochen werden, der, aus irgendeiner suburbanen Umzu-Gemeinde kommend, auf dem Weg in eine deutsche Metropole Aufenthalt am Hauptbahnhof hat. Er kann nun seine E-Mails checken, Nachrichten schreiben, ziellos herumsurfen und – ist er Homebanker – seinen Kontostand einsehen. All das bietet die Telekom zum gängigen Internettarif, der von der Telefonkarte abgebucht wird. Wird der moderne weltoffene Großstädter den „Telekiosk“ nutzen? Wohl kaum. Etwas stupide wirkt jemand, der hilflos vor dem völlig fettverschmierten „Touchscreen“ steht und versucht, die richtigen Buchstaben zu treffen.

Was viel schwerer wiegt: Die Telekom verliert ihren Status als lässiger Trendsetter, den sie sich mit der Installation der simplen „Telestationen“ vor ein paar Monaten hart erkämpft hat. Einfache Metallsäulen mit Hörer. Kein Schutz vor Regen und Lärm. Keinerlei Diskretion. Das kritisierten so manche erwartungsgemäß heftig. Anderen aber sind die „Telestationen“ insgeheim willkommen. Cool an einer Straßenecke stehen und umgeben von Autohupen, Straßenbahngequietsche und pöbelnden Verrückten eine abendliche Verabredung zu Sushi-Schmaus und Mojito-Schlürfen ausmachen: Das ist es, was wir wollen! Wie John Cusack in der Nick-Hornby-Verfilmung „High Fidelity“ kann man dort im Regen stehen und seine Exfreundin im Nachbarhaus anrufen, um dann zuzusehen, wie der neue Liebhaber die Jalousien runterzieht. Die vernetzten „Telekioske“ hingegen werden uns kaum das Gefühl vermitteln, einmal so lässig zu sein wie ein amerikanischer Schauspieler.

Der Telekom bleibt nur eine Hoffnung. Nachdem sich Bahn und Innenpolitik so tatkräftig bemüht haben, die Bahnhöfe von Junkies zu befreien, könnte jetzt eine neue Zielgruppe angezogen werden: die Internet-Junkies. Das eröffnet auch dem bremischen Möchtegern-Kosmopoliten eine neue Möglichkeit: als Workoholic Eindruck zu machen. Die Telekom hat sich drauf eingestellt. Per Knopfdruck lassen sich am „Telekiosk“ auch die aktuellen Börsenkurse abfragen.

Ebbe Volquardsen

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