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Die Spur der Brandstifter

In Schwerin stehen die mutmaßlichen Täter von Rostock-Lichtenhagen vor Gericht. Ihre Verwicklung in rechtsextreme Aktivitäten wurde von der Justiz bislang ignoriert

BERLIN taz ■ Dezent farbige Sweatshirts, ordentliche Kurzhaarfrisuren, gesenkte Köpfe – die drei Männer im Alter von 26 bis 28 Jahren, die sich seit Dienstag letzter Woche vor dem Landgericht Schwerin wegen ihrer mutmaßlichen Beteiligung an dem rassistischen Brandanschlag von Rostock-Lichtenhagen 1992 verantworten müssen, geben sich alle Mühe, ihre rechte Vergangenheit zu verbergen. Doch in Schwerin, wo die Angeklagten Ronni S., Andre B. und Enrico P. seit Anfang der 90er-Jahre zur rechten Hooligan und Naziskinszene aus dem Plattenbauviertel Großer Dreesch gehörten, gibt es genügend Opfer, die sich an eine Kette von brutalen Übergriffen erinnern.

Gemeinsam mit drei Schweriner Naziskins, die im Frühjahr 1993 wegen ihrer Beteiligung an den Rostocker Ausschreitungen zu Haft- und Bewährungsstrafen verurteilt wurden, sollen sich die Angeklagten unter anderem an mehreren schweren Angriffen auf ein von Linken besetztes Haus in der Schweriner Innenstadt beteiligt haben. „Die Polizei hat sich damals nicht blicken lassen“, erinnert sich ein Zeuge.

Gerichtsbekannt sind zudem rechte Propagandadelikte, Angriffe auf junge Linke und Migranten, vor allem vietnamesische Straßenhändler, an denen sich auch Sven M. beteiligte. Der heute 28-jährige Sven M. war in der Brandnacht auch vor dem „Sonnenblumenhaus“ in Rostock-Lichtenhagen. Allerdings hat Richter Horst Heydorn das Verfahren gegen ihn wegen Verjährung eingestellt. Seine Handlungen wurden nur als „schwerer Landfriedensbruch“ und nicht als „Beihilfe zum versuchten Mord“ gewertet. Nicht nur Sven M., der lange Zeit als „rechter Drahtzieher im Hintergrund“ galt, wird wohl ungeschoren davon kommen. Weitere Schweriner Rechte aus der Clique um die drei Angeklagten waren ebenfalls in Lichtenhagen vor Ort: Zum Beispiel der heute 29-jährige Frank S., Szene-Spitzname „Goebbels“, der sich schon Ende Juli 1992 unter der Anleitung von NPD-Funktionären an einem Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim beteiligte und dafür im August 1993 verurteilt wurde. Damals hatte Frank S. ausgesagt, er sei zur „Ausländerjagd“ ausgebildet worden.

In den Jahren 1992 und 1993 verging kaum einen Monat, in dem nicht irgendwo in Mecklenburg-Vorpommern Flüchtlingsheime angegriffen wurden. Auf Boizenburg folgte Rostock-Lichtenhagen, im September traf es ein Heim in Wismar und im November forderte der Terror der Rechten in Norddeutschland Tote: Der grüne Bundestagsabgeordnete und Rechtsanwalt Hans-Christian Ströbele meint, der Brandanschlag in Mölln, bei dem Yeliz Arslan (10), Ayse Yilmaz (14) und Bahide Arslan (51) starben, hätte möglicherweise verhindert werden können, wenn die Polizei in Rostock und danach konsequenter gegen Naziskins und rechtsextreme Strukturen in der Region vorgegangen wäre.

Angesichts von Fernsehbildern, die Dutzende von Brandflaschen werfender Skinheads vor dem „Sonnenblumenhaus“ zeigten, kritisiert nun der Verein Lobbi e.V., der Opfer rechter Gewalt betreut, die magere Ausbeute der Ermittler. Unverständlich sei beispielsweise, warum es Polizei und Staatsanwaltschaft bisher nicht gelang, die Identität der Hamburger und Neubrandenburger Naziskins festzustellen, die gemeinsam mit der Schweriner Gruppe vor dem „Sonnenblumenhaus“ agierten. Schließlich hatten mehrere Kamerateams vom Dach einer 30 Meter entfernten Kaufhalle das Geschehen über 90 Minuten gefilmt. Auch seien die ehemaligen vietnamesischen Vertragsarbeiter, die in Rostock-Lichtenhagen nur knapp den Flammen entkamen, in den letzten neun Jahren kein einziges Mal von der Polizei zu ihren Erinnerungen vernommen worden. HEIKE KLEFFNER

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