: Ganz Berlin feiert die Ampel
Als SPD, FDP und Grüne 2001 ihr rigides Sparkonzept beschlossen, konnte niemand ahnen, welches Erfolgspotenzial darin versteckt war. Seither tanzt Berlin Tag und Nacht. Allen voran der Regierende Bürgermeister. Ein Rückblick aus dem Jahr 2006
von GEREON ASMUTH
Kaum im Amt hatte sich der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) als Partyhengst geoutet. Kein Parkett mehr, auf dem er nicht eine heiße Sohle hinlegte. Und Wowereit hat allen Grund zu feiern – bis heute. Denn egal, was die Ampelkoalition anfasst, es ist immer ein Glücksgriff.
Dabei sah es vor sechs Jahren noch ganz anders aus. Als die Koalition beschloss, rund 2 Milliarden Mark allein bei den Personalausgaben zu sparen, marodierten die Gewerkschaften tagelang durch die Stadt. Erst recht als Wirtschaftssenator Günter Rexrodt (FDP) den gesamten öffentlichen Dienst einem Profi überließ. Doch Oberdienstleister Peter Dussmann machte seine Sache gut. Sämtliche Behördengänge lassen sich in seinen Verwaltungskaufhäusern nun – gegen geringe Gebühr – täglich bis 22 Uhr erledigen. Strafzettel können auch durch den Kauf eines Buches abgegolten werden.
Schmutziges Geschäft
Zudem ersetzte Dussmann die von den Grünen gerade erst durchgesetzte Kennzeichnung der Polizisten durch lukrative Werbeaufnäher. Selbst Justizsenator Wolfgang Wieland (Grüne) leistete keinen Widerstand. Denn die zahlreichen Anzeigen gegen Beamte nach dem 1. Mai 2003 konnten die kleingesparten Gerichte nicht mehr bearbeiten.
Richtig Schwung in die Stadt brachte allerdings erst Finanzsenatorin Christiane Krajewski (SPD) mit ihrem Coup, die Bankgesellschaft für einen Euro an den Toilettenkönig Hans Wall zu verkaufen. „Ein schmutziges Geschäft“, hatte Oppositionsführer Frank Steffel (CDU) anfangs noch gemäkelt. Doch dann strich Bankier Wall als Erstes dem Land sämtliche Kredite.
Berlin musste ihm dafür zwar den öffentlichen Nahverkehr und die BSR abtreten; Wall cancelte als Erstes die unrentablen Vorortlinien. Das aber löste einen derartigen Run auf Innenstadtwohnungen aus, dass endlich Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) mit seinem Masterplan zum Zuge kam.
Ein voller Erfolg
Auch die dank enorm gestiegener Müllgebühren nun konsequente Mülltrennung der Berliner wurde ein „voller Erfolg unserer Politik“, wie die Grünen-Abgeordnete Claudia Hämmerling nicht müde wird zu betonen.
Als Verkehrssenator Strieder dann auch noch die Straßenbeleuchtung inklusive Lichtzeichenanlagen privatisieren ließ, frohlockte kurzzeitig noch einmal die Opposition. „Die Ampel verkauft sich selbst“, kalauerte PDS-Fraktionschef Harald Wolf. Mit dem Erlös finanzierte Strieder jedoch eine Handvoll Wink-Elemente für Schülerlotsen in Marzahn und wurde damit erstmals auch im Osten gefeiert.
Glückloser war Kultursenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD). Nachdem sie auch die dritte Oper schließen ließ, gab sie ernervt vom Dauerprotest der Tenöre auf. Erst ihrem Nachfolger Alfred Biolek war das mittlerweile sprichwörtliche Ampelglück vergönnt. Die Musiker des wegrationalisierten Polizeiorchesters wurden als Privatkapelle so erfolgreich, dass sie wenig später die Staatsoper Unter den Linden als festen Spielort übernahmen.
Feiern bis zum Morgen
Den Prachtboulevard hat unterdessen im Zuge der Privatisierung öffentlicher Grundstücke komplett die Silvester in Berlin GmbH übernommen. Ihr allnächtliches Feuerwerk ist ein grandioser Erfolg, schon weil die Gäste wegen fehlender Nachtbusse nicht vor der Morgendämmerung heimkommen. Und das ist für die vielen ehemaligen Verwaltungsmitarbeiter kein Problem. Gleiches gilt für die wöchentliche Love Parade der Planetcom, die die Straße des 17. Juni kaufte. Das Rexrodt-Projekt war zunächst auf heftigen Widerstand von Umweltschützern gestoßen. Aber als er weite Teile des Tiergartens an die Firma Neuland als ökologische Anbaufläche verscherbelte, waren selbst die Grünen zufrieden. Vor allem weil deren Arbeitssenatorin Sibyll Klotz durchsetzte, dass Neuland sämtliche Mitarbeiter der geschlossenen Kinderbauernhöfe übernehmen musste.
Erfolg auf ganzer Linie hatte auch Wissenschaftssenatorin Mieke Senftleben (FDP). Um ihr Einnahmesoll zu erfüllen, musste sie zwar die Gebühren für Langzeitstudenten auf 2.000 Euro pro Semester erhöhen. Proteste gab es dennoch kaum. Das Abitur erhalten Schüler kostensparend inzwischen durchgehend nach 12 Jahren. Da aber auch fast alle Schulsekretärinnnen dem Rotstift zum Opfer fielen, kommt es bei der Zeugnisvergabe zu Verspätungen von bis zu zwei Jahren. Die Zwischenzeit nutzen die Nachwuchsakademiker heute für intensive Praktika, kommen somit gut vorgebildet an die Unis und ziehen das auf wenige Vorlesungen reduzierte Studium meist in kaum mehr als drei Jahren durch.
Glückliche Weltpolitik
Nur Schulsenator Klaus Böger (SPD) blieb glücklos. Staatlicher Religionunterricht ließ sich partout nicht finanzieren. Nun erklagen sich immer mehr religöse Splittergruppen den Zugang zur Schule. Unlängst zog eine Gruppe von Exil-Taliban vor Gericht.
Dafür entpuppte sich selbst Innensenator Ehrhart Körting (SPD) als Kreativfigur. Fast alle überschüssigen Beamten konnte er nach Bayern versetzen. Und als die Bajuwaren vor kurzem einen Aufnahmestopp verhängten, kam Körting die Weltpolitik zu Hilfe. Nach sechs Jahren Bürgerkrieg benötigt Afghanistan nun katastrophengeschulte Aufbauhelfer. Die Reisekosten ertanzt Klaus Wowereit demnächst auf einem Soli-Ball.
Der Wiederwahl des allseits beliebten Bürgermeisters stünde eigentlich nichts im Wege. In allen Umfragen liegt er vorn. Nur die Finanzierung der nächsten Wahlen ist noch ungeklärt.
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