piwik no script img

Dunkelheit aushalten

Es ist wieder mal höchste Zeit: Lichterketten-Knigge für AnfängerInnen  ■ Von Kaija Kutter

Sie leuchten, sind stimmungsvoll und verbrauchen viel weniger Strom als gängige Schaufensterlampen oder jene 1000-Watt-Strahler, die immer mehr Eigenheimbesitzer zur Dieb-Abschreckung an ihren Häusern montieren. Lichterketten, von kleinen Kindern auch „Glitzer, Glitzer“ genannt.

Doch nun denke keiner, er könne die meist grünen Kabelschnüre, die es in der Version mit 80 Mini-Glühbirnchen und Außen-Transformator schon für 19,95 Mark gibt, einfach dann aus der Kommode kramen, wenn es ihm passt. „Kind. Du musst die Dunkelheit aushalten können“, pflegt eine ältere Verwandte schon seit Jahren zu mahnen. Mitte November etwa, wenn die Zeitumstellung für sattschwarze Nachmittage sorgt, sei bei weitem noch nicht der richtige Zeitpunkt. Die „viel zu früh, viel zu früh!“-Kritik dehnt sich auf jegliche weihnachtliche Vorbereitung wie Goldpapier-Sterne-Basteln oder Kekse-Backen aus und verstummt erst am 1. Advent.

Die Dame ist konsequent mit ihrer Haltung, wird sie zur besagten Zeit nicht eingeladen, fährt sie schon mal dezent mit dem PKW vorbei, um später am Telefon zu melden, „ihr habt da ja wieder was im Fenster“.

Zumindest in ihrer Generation hat sie die Mehrheit auf ihrer Seite. Hängt man in einer überwiegend von älteren Menschen bewohnten Gegend den Lichterschmuck schon früh an Bäume und Balkone, zieht kein Nachbar mit, auch wenn es noch so tolle Angebote im Baumarkt gibt.

Sie haben mit ihren Vorstellungen niemand geringeren als die Kirche auf ihrer Seite. „Die Adventszeit beginnt erst nach dem Ewigkeitssonntag“, erklärt Susanne Niemeyer von der Pressestelle der Nordelbischen Kirche. Der November davor sei „ein stiller Monat“ und dem Gedenken an die Toten gewidmet. Ein Monat, „in dem ganz viel stirbt, auch die Natur“. Stimmt schon. Das Thema beschäftigt die Gläubigen schon länger. „Lichterketten überstrahlen die Endphase des Totenmonats November“, ärgerte sich der Limburger Bischof Franz Kamphaus in einer Predigt. Die Vorfreude würde über die Maßen ausgedeht. Wohl möglich, so fürchtet er, „feiern wir bald im ganzen Jahr Weihnachten“.

Leute, die sich auskennen, so hören wir aus der Kirche, beginnen erst nach dem Ewigkeitssonntag mit der Adventsschmückerei, die klassisch aus einem Kranz mit vier roten Kerzen besteht. Erfunden hat ihn vor über 100 Jahren der Hamburger Johann Wichers, der – kleiner Trost – wohl auch für Lichterglanz schwärmte: Sein Kranz hatte noch 24 Kerzen. Sei hier noch gepetzt, dass sich der Bürgermeister mit Kirchenettikette nicht auskennt. Er weihte am vergangenen Freitag die Lichtertanne auf der Alster ein. Zwei Tage vor Ewigkeitssonntag.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen