: Nie allein zu Haus
Alles klar in unserer Republik: In Jens Sparschuhs Ost-West-Roman „Der Zimmerspringbrunnen“ war der Held ein innerer Grenzgänger. Peter Timms gleichnamige Verfilmung setzt auf Karikaturen und deutsch-deutsche Eindeutigkeiten
von BARBARA SCHWEIZERHOF
Für den Ossi ist der Vertreter wahrscheinlich der Inbegriff des Wessis: wie er ungebeten an der Tür klingelt und dann mit unangebrachter Freundlichkeit seiner Freude darüber Ausdruck verleiht, jemanden anzutreffen, während er gleichzeitig raffiniert das Köfferchen von der rechten in die linke Hand gleiten lässt, um so den anvisierten Kunden auf den geplanten Händeschlag vorzubereiten, der wiederum nur die Ouvertüre bildet zum behutsamen, aber nachdrücklichen Versuch, in die Wohnung einzudringen, wo die Ware angeblich unverbindlich ausgepackt und so lange angepriesen wird, bis sich der überraschte Bewohner mit einem Stift in der Hand über einem Kaufvertrag wiederfindet. Die meisten unterschreiben nun aus einem diffusen Pflichtgefühl heraus oder weil sie sonst keinen Weg sehen, wie sie den Vertreter je wieder loswerden sollen. In beiden Fällen bleibt der Eindruck, sie seien über den Tisch gezogen worden.
Das wiederum ist, dem verbreiteten Vorurteil nach, das vorherrschende Gefühl des Ossis, der in diesem Kontext oft auch als „beleidigter Zonendödel“ bezeichnet wird. Dessen typische Inkarnation stellt sich der Wessi seinerseits so vor: arbeitslos, motivationslos, erfolglos. Eben wie die Hauptfigur im „Zimmerspringbrunnen“, Hinrich Lobek, der sich seit mehreren Jahren ohne Begabung und trotzdem akribisch um den Haushalt kümmert, nebenbei noch in Stasi-Manier ein Protokoll aller Geschehnisse in der Wohnung führt und die Welt außerhalb seines Plattenbaus gar nicht mehr wahrnimmt, während seine Frau sich beruflich und – wie er stark vermutet – mittlerweile auch privat anderweitig orientiert. Ausgerechnet dieser Lobek bewirbt sich nun auf einen Vertreterposten. Das kann nicht gut gehen.
Die Raffinesse von Jens Sparschuhs 1995 erschienenem Roman bestand darin, dass er Wessi und Ossi nicht einfach gegeneinander ins Feld führte, sondern seinen Lobek zum inneren Grenzgänger machte, der brav Westausdrücke wie „Kein Problem“ und „Alles klar“ auswendig lernt, gleichzeitig mit „Ost“-Begabung und -Produkt unaufhaltsam aufsteigt, wodurch sich seine Lebensordnung aber restlos auflöst. Von solch abgründigen Konstruktionen hat Peter Timm seine Verfilmung frei gehalten. Wo im Roman Lobek die Weihnachtstage bei den Pennern am Bahnhof Zoo verbringt, fügt sich im Film alles zum Happy End.
Dass er sich ganz dem Modell der Versöhnlichkeit verpflichtet sieht, hat Peter Timm bereits mit seinen früheren Ost-West-Komödien wie „Meier“ und „Go, Trabi, Go“ bewiesen. Beide Filme sind aber auch Beispiele dafür, dass der Ost-West-Witz auf der Leinwand meist hinter den Erwartungen zurückbleibt. Im Nachhinein scheint die Geschichte von Meier, dem Ostberliner, der täglich aus dem Westen zur Arbeit einreist, um seine Flucht zu vertuschen, noch am besten zu funktionieren: 1985, als der Film rauskam, war diese Form des Grenzgängertums eine Utopie am fernen Horizont, grotesk, absurd und komisch. Seither hat der Stoff für Ost-West-Komödien zwar sicher noch zugenommen, doch der Mut zur gebührend boshaften Umsetzung scheint weitaus weniger geworden.
Timms Bearbeitung des subtilen Humors der Vorlage, der sich aus der monomanischen Weltfremdheit des Ich-Erzählers Lobek speist, ist so routiniert wie plump: Ost wie West werden als Karikatur vorgeführt, die Westvorgesetzten sind schmierig und unsolidarisch, die Plattenbaubewohner wunderlich und nie allein zu Haus. In vielen Szenen scheint den Regisseur die Angst getrieben zu haben, der Zuschauer könnte einen Witz nicht verstehen, weshalb er sicherheitshalber erklärt wird: Als Lobek seinen DDR-Nostalgie-Zimmerspringbrunnen zum ersten Mal vorführt, ertönt im Hintergund die ehemalige Nationalhymne, und als sei das nicht Hinweis genug, flüstern die zukünftigen Käufer ergriffen: „Unsere Republik!“ Im Roman ist das eine stumme Szene, wie überhaupt Lobeks Stärke – und Erfolgsrezept – das platzierte Schweigen ist. Als Filmfigur allerdings muss er seine inneren Monologe nun laut vortragen, was ihnen viel von ihrer Komik nimmt.
Unfreiwillig komisch ist übrigens die Eingangssequenz des Films: Lobek träumt, der Fersehturm am Alex würde explodieren. Wie früher harmlose Bilder heute doch ganz anders aussehen.
„Der Zimmerspringbrunnen“. Regie: Peter Timm. Mit Götz Schubert, Simone Solga u. a. Deutschland, 2000, 99 Min.
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