: Hitliste der europäischen AKWs
Wiener Ökologie-Institut schätzt Gefährlichkeit der Atomkraftwerke. Österreicher erstaunt: Reaktor im tschechischen Temelín im Vergleich wesentlich besser als gedacht. In Westeuropa stehen einige britische Meiler am schlechtesten da
BERLIN taz ■ Eine neue Studie des Wiener Ökologie-Instituts über die Sicherheit europäischer Atomkraftwerke sorgte gestern in Österreich für helle Aufregung. Die Experten des unabhängigen Instituts fanden heraus: Das tschechische Skandal-AKW Temelín unweit der österreichischen Grenze sei „kein Schrottreaktor“ und zähle europaweit eher zu den sicheren Atomkraftwerken. Selbst deutsche und Schweizer AKWs älterer Bauart seien dagegen „so risikoreich wie Temelín“.
Obwohl die Geschäftsführerin des Öko-Instituts, Antonia Wenisch, beteuert, sie und ihre Mitarbeiter seien „erklärte Gegner der nuklearen Energiegewinnung“, hagelt es von allen Seiten herbe Kritik an den Wissenschaftlern. Von „irritierenden Äußerungen“ ist in Wien die Rede, von einer „Schwächung der österreichischen Verhandlungsposition gegenüber Prag“, von „Verdrehung der Tatsachen“. Wenisch bleibt aber dabei, in der österreichischen Diskussion über Temelín müsse eine „Relativierung durch Fakten“ erfolgen.
Nach der Untersuchung des Öko-Instituts zu 41 europäischen Atomkraftwerken sind die Kraftwerke Metzamor in Armenien und Kosloduj 1 bis 4 die mit Abstand gefährlichsten Anlagen in Europa mit 13 Minuspunkten, gefolgt von sechs Reaktorblöcken in Russland, dem Reaktor BN-350 in Kasachstan und Ignalina in Litauen mit jeweils 12 Minuspunkten. Temelín, das noch nicht in Vollbetrieb genommen wurde, zählt laut dieser Studie mit 5 Minuspunkten schon zu den besseren AKWs europaweit.
Keine einzige Anlage in Europa erfüllt aus Sicht des Öko-Instituts die „technisch möglichen Sicherheitsstandards“. Die britische Anlage Sizewell-B und die französischen AKWs Chooz-B and Civaux sind zwar die sichersten Atommeiler – mit noch immer 3 Minuspunkten. Innerhalb der Europäischen Union schneidet Großbritannien trotzdem am schlechtesten ab. Die Standorte Calder Hall, Chapelcross und Bradwell bekommen 10 Minuspunkte angekreidet, Sizewell-A, Oldbury and Wylfa folgen mit 9 Negativwerten.
Das deutsche AKW Gundremmingen weise ähnliche Mängel auf wie Temelín, nur darüber spreche niemand, bemerken die Wiener. Das AKW Isar und die Schweizer Meiler Mühleberg und Beznau dürfe man ebenfalls nicht außer Acht lassen.
Der Atomwissenschaftler Emmerich Seidelberger vom Institut für Risikoforschung in Wien wirft seinen Kollegen vom Öko-Institut allerdings vor, einen wichtigen Aspekt zu unterschlagen. „Temelín ist sicher nicht das gefährlichste Atomkraftwerk“, so der ehemalige Atomkonstrukteur, „Reaktoren aus sowjetischer Zeit wie Bohunice in der Slowakei und Kosloduj in Bulgarien sind in der Tat weit gefährlicher. Doch für diese Schrottreaktoren gibt es längst Ausstiegsszenarien.“ Temelín stehe dagegen erst am Beginn seiner Laufzeit und werde unter Umständen noch 60 Jahre in Betrieb bleiben.
Das Wiener Ökologie-Institut ließ die Kritik nicht lange auf sich sitzen: Die Interpretation einiger österreichischer Medien, das Institut habe mit seiner Studie einen „Persilschein“ für Temelín ausgestellt, sei falsch, hieß es gestern in einer Pressemeldung. Doch die derzeitige Debatte erwecke den Anschein, Temelín sei das einzige gefährliche AKW in der näheren Umgebung Österreichs, und dieser Meinung wolle man objektive Informationen entgegegensetzen. „Die landläufige Unterscheidung zwischen Ost- und West-AKWs, die oft einen klaren Unterschied in der Sicherheitsfrage impliziert, ist nicht gerechtfertigt“, so Geschäftsführerin Wenisch. Sie kündigte an, das Ökologie-Institut werde Protestaktionen von Atomkraftgegnern wie bisher europaweit unterstützen, in der Slowakei und Tschechien ebenso wie in der Schweiz und Deutschland. ROLAND HOFWILER
Öko-Institut: www.ecology.at
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen