: Stadt auf Schwarz und Weiß
Welche Stadt soll’s denn sein? Vor fünf Jahren wurde mit großem Getöse das Planwerk Innenstadt vorgestellt. Doch von den ursprünglichen Zielen Nachhaltigkeit und Zusammenwachsen ist nicht viel übrig geblieben – außer ein paar Schwarzplänen
von UWE RADA
Im vergangenen Jahr, so meldet dieser Tage die Statistik, haben wieder 30.000 Berliner ihrer Stadt den Rücken gekehrt, so viel wie nie in den vergangenen Jahren. Der Speckgürtel boomt, die Innenstadt entleert sich.
An der Friedrichswerderschen Kirche soll nach den Worten von Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) demnächst ein „kleines, intimes Quartier“ entstehen. Bauträger wird die Firma Hanseatica sein. Die will am Friedrichswerder nicht nur exklusive Läden bauen, sondern auch teure Eigentumswohnungen. Kostenpunkt: 8.000 Mark pro Quadratmeter aufwärts.
Zwei Nachrichten, die scheinbar nichts mit einander zu tun haben. Es sei denn, man erinnert sich an jene letzten Tage des November 1996, in denen in Berlin ein folgenreicher Plan vorgestellt wurde. Sein Name: Planwerk Innenstadt. Sein Ziel: das Zusammenwachsen der Stadt, der Beginn einer nachhaltigen Stadtentwicklung, die Wiedergewinnung der historischen Mitte.
Im mit Architekturdebatten und urbanistischen Kontroversen ohnehin reich gesäten Berlin der Nachwendezeit markierte der „Masterplan“, wie Peter Strieder und sein Staatssekretär Hans Stimmann das Planwerk zunächst nannten, eine tatsächliche Zäsur. War bis dato im wesentlichen um stadträumlich begrenzte Gebiete wie den Potsdamer Platz oder den Alexanderplatz gestritten worden, sollte nun nicht mehr und nicht weniger als die Gesamtstadt auf den Plan treten.
Absolutistischer Akt
Vom Ernst-Reuter-Platz in Charlottenburg bis zur Oberbaumbrücke in Kreuzberg reichte der Versuch, ein völlig neues Leitbild über die Stadtteile und Teilstädte zu legen. Nur: Brauchte Berlin wirklich ein neues Leitbild? Benötigte die in Jahrhunderten gewachsene polyzentrale Stadt tatsächlich eine neue Mitte? Und schließlich: Sind Masterpläne nicht immer auch, wie das Beispiel Haussmann in Paris zeigt, ein planerischer Akt von oben, ein Relikt des Absolutistismus, mithin also eine Missachtung bürgerschaftlicher Teilhabe und demokratischer Praktiken?
Angesichts solcher Fragen war es kein Wunder, dass das Planwerk Innenstadt von Beginn an die Gemüter der Berliner erregte, und dies nicht nur, weil die taz den Plan bereits Wochen vorher veröffentlicht und damit für eine vorgezogene Kontroverse gesorgt hatte. Im Vordergrund der Kritik stand zunächst die Autorenschaft des Masterplans. Mit Dieter Hoffmann-Axthelm, Bernd Albers, Manfred Ortner und Fritz Neumeyer waren es vier Westplaner und -architekten, die sich das „Zusammenwachsen der Stadt“ auf die Fahnen geschrieben hatten. Viele Ostplaner, wie Bruno Flierl, sprachen daraufhin von einer erneuten Kolonisierung des Ostens durch den Westen.
Kampf gegen Moderne
Verstärkt wurde dieser Verdacht dadurch, dass die „Rückgewinnung der historischen Mitte“ zugleich eine entschiedene Absage an den sozialistischen Städtebau bedeutete. Vor allem rund um die Karl-Marx-Allee und die Fischerinsel, so lautete die von Hoffmann-Axthelm selbst formulierte „Kampfansage“, sollten neue Bauklötze die alten Straßenraster wieder entstehen und die Architektur der Moderne hinter historisierenden Bauklötzen verschwinden lassen. Eine „Kampfansage“, die mit dem Abriss des Ahornblatts und dem Bau eines Hotelkastens an gleicher Stelle bereits heute Gestalt angenommen und damit ex post alle Befürchtungen bestätigt hat.
Es war nicht zuletzt die Kritik der Planer und Architekten, die die Diskussion um das Planwerk zur erbitterten städtebaulichen Kontroverse werden ließ und den verantwortlichen Senator Peter Strieder zum Zurückrudern veranlasst hat. Weil Strieder zur Verabschiedung des Plans im Abgeordnetenhaus auch die Stimmen der Grünen brauchte, machte nun immer mehr das Wort von der nachhaltigen Stadtentwicklung die Runde. Für Strieder hieß das: Vorrang der Innen- vor der Außenentwicklung der Stadt sowie ein Angebot an Familien, denen mit neuen Wohn- und Eigentumsformen eine Alternative zum Wegzug an den Stadtrand oder ins Umland geboten werden solle. Aus der „Kampfansage“ von Hoffman-Axthelm und von Hans Stimmann wurde ein Strieder’sches „Friedensangebot“ an mittelständische Milieus.
Geht man heute, fünf Jahre nach der Vorstellung des Planwerks und zwei Jahre nach seinem Beschluss durch Senat und Abgeordnetenhaus durch die Ostberliner Mitte, wird man allerdings unschwer feststellen, dass von diesen Zielen nicht viel übrig geblieben ist. Nicht nur die geplanten, teuren Eigentumswohnungen auf dem Friedrichswerder zeigen, dass die städtebauliche Zielsetzung dem „Hobrechteffekt“ gewichen ist. Wird ein Gebiet nämlich erst als Bauland ausgewiesen, so lautete bereits die Erfahrung mit dem Hobrechtplan und dem darauf zurückgehenden Bau der Berliner Mietskasernen im 19. Jahrhundert, sind alle gutgemeinten Absichten perdu. Nicht die Planer bestimmen dann das Baugeschehen, sondern Projektentwickler wie die Hanseatica. Gleiches gilt für die Grundstücksverkäufe. Dachte Strieder ursprünglich daran, die zuvor nicht zur Bebauung vorgesehenen Flächen unter Wert zu verkaufen, freut sich nun die Finanzsenatorin. Bauland ist nunmal Bauland, völlig egal, unter welchen Zielsetzungen es einmal umgewidmet wurde.
Von Stadtplanung kann im Zusammenhang mit dem Planwerk deshalb keine Rede mehr sein, umso mehr dagegegen vom Ausverkauf von Grün- und Freiflächen, wie die Kritiker argwöhnen. Selbst Dieter Hoffmann-Axthelm, der in der Mitte Berlins erschwinglichen Wohnraum realisieren wollte, flüchtete irgendwann in die Gründung einer AG „Bürgerstadt“, um wenigstens im kleinen die einstigen Ziele zu realisieren. Doch auch das erste Vorhaben der AG, der Bau eines Wohn- und Geschäftshauses am Engeldamm, ist zum Scheitern verurteilt. Um die Preise möglichst niedrig zu halten, plante die AG eine weitaus höhere Bebauungsdichte als in der Umgebung vorhanden. Keine Genehmigungschance hieß es dazu im Bezirk Mitte.
Wundersame Heilung
Was vom Planwerk bleibt, zeigt sich heute ohnehin nicht mehr in wohlfeiler urbanistischer Rhetorik oder Umarmungspolitik gegenüber den Grünen. Wer das Planwerk in seiner Rest-, das heißt, seiner Reinkultur erleben will, muss deshalb nicht in den Archiven der Zeitungen stöbern, sondern sich auf den Weg in die Spreespeicher machen. Dort, unweit der Oberbaumbrücke, ist nicht mehr von Nachhaltigkeit die Rede, sondern nur noch von der „Rückgewinnung des Stadtgrundrisses“. Auf zahlreichen Schwarzplänen werden der dichten Bebauung um 1940 nachgerade polemisch die vom Krieg zerstörte Bebauung der fünfziger und die Ergebnisse des modernen Aufbaus der sechziger und siebziger Jahre gegenübergestellt. Vor dem Hintergrund dieser „zweiten Stadtzerstörung“ erscheinen die bereits vollzogenen und geplanten Wiederaufbauprojekte im Geiste des Planwerks ganz von alleine als wundersame „Heilung“ der Stadt. Nur, dass aus dem vielschichtigen Planwerk mittlerweile ein zweidimensionaler Stadtplan, eine bloße Grafik geworden ist.
Dieser Paradigmenwechsel vom Planwerk zum Schwarzplan hatte sich bereits angedeutet. Schon bei der vergangenen Architekturbiennale in Venedig hatte Senatsbaudirektor Hans Stimmann im deutschen Pavillon seine Schwarzpläne vorgestellt – und damit höhnisches Gelächter von internationaler Seite geerntet. Gleichwohl zieht Stimmann unbeirrt seine Kreise, wie er erst vor kurzem mit der Vorlage der Planung für den Bereich Spittelmarkt, Fischerinsel und Molkenmarkt gezeigt hat. Und Peter Strieder hat das Wort nachhaltig spätestens nach der Entscheidung für die Hanseatica am Freidrichswerder durch „klein und intim“ ersetzt.
Einigkeit der Gegner
Welche Stadt darf’s denn nun sein? In die Karl-Marx-Allee, freute sich unlängst WBM-Geschäftsführer Falk Jesch, ziehe es immer mehr Studenten, jene Klientel also, die vor fünf Jahren noch mit Vorliebe in der Spandauer Vorstadt und am Hackeschen Markt wohnen wollte.
Ach ja. Und gestern wurde im Bezirk Mitte Joachim Zeller zum neuen und alten Bürgermeister gewählt. Für den CDU-Politiker stimmten auch die Grünen und die PDS. Eine klassische Ostkoalition gegen die im Westen des Hauptstadtbezirks und in der Senatsbauverwaltung vorherrschende SPD.
Was haben diese beiden Nachrichten miteinander zu tun? Auch sie sind, wenn man so will, die Spätfolgen des Planwerks Innenstadt oder besser seiner Gegnerschaft. In den vergangenen fünf Jahren waren es nämlich weniger DDR-Nostalgiker als vielmehr die Künstler und Studenten der „Generation Alex“, die sich die von den Planwerksakteuren kulturell entwerteten Räume der Nachkriegsarchitektur angeeignet haben. Politisch werden sie dabei von all jenen unterstützt, die wissen, das eine Stadt mehr ist als ein bloßer Rückgriff auf ihre Vorkriegsgeschichte, mehr als nur Schwarz und Weiß. Mehr komplexe Schichtung als zweidimensionale Grafik.
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