Poeten an die Käuferfront

Gerhard Schröder belebt die Wirtschaft durch das Diplomstudienfach Konsument

Jogging, Mülltrennung, Sex – überall herrscht ein schwitzig verbissenes Leistungsprinzip

Deutschland im Herbst: Arbeitslose bis unters Dach, Binnenkonjunktur im Keller. Aufschwung ade. Die Republik fragt: Was tun? Sozialkahlschlag à la Koch? Milliardenschwere Beschäftigungsprogramme, wie die Grünen fordern? „Alles Quatsch“, sagt Gerhard Schröder. „Was wir brauchen, ist eine ruhige Hand und Köpfchen.“ So einen wie den von Maike S. (23). Die Blonde steht mit verbundenen Augen in der Aula der Uni Hannover und schwitzt. Ihre Hände gleiten über Ecken und Kanten einer Mikrowelle. „Durchlauferhitzer“, haucht sie, und 300 Germanistikstudenten halten den Atem an. „Nein, äh, Sensor-Garaggregat in drei Stufen. Das ist die HTMS 900 von Quelle, Bestellnummer 378400928.“ Meike S. reißt sich die Binde von den Augen und fällt dem Kanzler in die Arme, der rechtzeitig aus der ersten Reihe herangefedert ist. „Das nenne ich praxisnahes Lernen“, strahlt Schröder und überreicht der Blonden eine Urkunde samt Einkaufsgutschein im Wert von 5.000 Euro. Eine halbe Stunde später tritt der Regierungschef mit Bildungsministerin Edelgard Bulmahn vor die Presse und präsentierte seine neue Geheimwaffe im Kampf um Vollbeschäftigung und steigende Kaufkraft: Den „Aufbaustudiengang Diplomkonsument“. Er wendet sich vor allem an Geisteswissenschaftler, um „endlich auch die brotlosen Künste in die ökonomischen Schaltkreise zu implantieren“. Schließlich, so Schröder, könne es sich der Innovationsstandort Deutschland nicht länger leisten, „die Intelligenz links liegen zu lassen“.

Damit hat das Kabinett ein Schlüsselproblem aufgegriffen, vor dem Konsumforscher schon seit Jahren warnen. Produkte wie Zahnbürsten, Telefone oder Eieruhren werden immer komplexer. Leider reagiert der Durchschittsdeutsche auf diese Komplexität nicht mit stringentem Erkenntnis- und Kaufdrang. Stattdessen zeigt er im Mentalbereich alamierende „Beschränkungen der Verknüpfungskapazität“ (Niklas Luhmann). Anders gesagt: Die Konsumgesellschaft verdummt.

Wie eine Studie der „Media-Gruppe München“ belegt, sind große Verbrauchersegmente beim Einkauf schlicht überfordert und schleichender Konsumresistenz anheimgefallen. Zum Beispiel die Gruppe der „Hedonisten“. Ausgerechnet diese hippe, von der Konsumforschung so heftig umworbene Spezies angeblich „origineller“, im „Hier und Jetzt spontan konsumierender“ Käuze entwickelte sich zum Konjunkturbremser, weil sie insgesamt nur Tütensuppenproduzenten und ausländischen Drogenkartellen zu massiven Gewinnspannen verholfen hat.

Auch auf die neue Mitte kann die Wirtschaft nicht mehr bauen. Ließ sich dieser Typus noch 1999 als Speerspitze des „aufstiegsorientierten Verbrauchers“ feiern, bei dem sich „Anpassung an die Normen“ mit „prestigeorientiertem Konsumstil“ und „topmodischen Schrankwänden“ paaren, scheint der Neue-Mitte-Mensch angesichts der ausdifferenzierten Warenwelt zu degenerieren. Die Möbelfirma Porta kann davon mehr als ein Lied singen. Ihr hochpreisiges Designprogramm „Ecco“ wurde zum Totalflop, „weil die Leute glaubten, es handele sich um das neue Buch dieses dicken Italieners“, klagt Geschäftsführer Heiner Marquard. Auch das echt schweinslederne „Porta-Sitzparadies mit der Easy-Gleit-Funktion“ wolle sich in diesen Zeiten kein „aufstiegsorientierter Verbraucher“ leisten. Denn es ist „so bequem, dass man gar nicht mehr aufstehen will“. So etwas erwerben nur Menschen, die weder aufsteigen, geschweige denn aufstehen wollen, mithin Philosophen, Poeten, Romanciers und andere Arbeitsscheue.

Was nicht dasselbe ist wie arbeitslos. Dem gemeinen Arbeitslosen bleibt ja gar keine Zeit zum Konsumieren. Er verbringt seine Tage damit, Arbeit zu suchen. Und das, so hat der Kanzler glasklar erkannt, „sei volkswirtschaftlich völlig sinnlos“. Unternehmerkapital- und Aktiengewinne steigen in einer globalen Marktwirtschaft nicht durch mehr, sondern nur durch immer weniger Arbeit. Doch wohin treibt eine Gesellschaft, die längst auch die Freizeit zur Arbeit degradiert hat? Jogging, Mülltrennung, Sex – überall herrscht weniger das Lust-, sondern ein schwitzig verbissenes Leistungsprinzip. Das ist „Selbstverwirklichung durch Selbstbetrug“, zitiert Bildungsministerin Edelgard Bulmahn Dr. Fritz Oblong, einen der fünf „Wirtschaftsweisen“.

Aus all dem folge zwingend, „der ideale Konsument ist intelligent und arbeitsscheu“. Er ist „Geisteswissenschaftler, Künstler, Tagedieb“. Hier setzt Schröders „Aufbaustudiengang Diplomkonsument“ an. Anstatt das Potenzial dieser Schlaumeier nach dem Studium stantepede der Künstlersozialkasse oder dem Arbeitsamt zu überantworten, werden die Kombattanten nach dem Vordiplom zu „konsumierenden Eingreiftruppen“ umgeschult. Ihr Feindbild, betonte der Kanzler, „heißt Nullwachstum“. Ausgerüstet mit staatlichen Einkaufsbons und hoher Verbraucherkompetenz werden sie als Guerillaverband im jeweiligen Absatzkrisengebiet operieren. Stahl, Jogurt, Kühlschränke, Zahnersatz, Starkbier – egal, wo es sich gerade staut –, alles wird von den Elite-Konsumenten weggerafft und in umsatzsteuerpflichtigen Profit verwandelt. Sollte das Projekt auf dem Binnenmarkt reüssieren, verspricht Schröder, werde die Bundesregierung über Auslandseinsätze unter dem Kommando des Internationalen Währungsfonds nachdenken.

MICHAEL QUASTHOFF