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Dramatische Tropen

Schokolade, „fiese“ Europäer und der Hamburger Hafen: Global ist vor der Tür. Lernen mit dem Bildungswerk der Werkstatt 3 Von Sandra Wilsdorf

Die Ferne ist gar nicht fern, und wenn Hamburger Sechstklässler sich in der Projektwoche für das Thema „Tropen“ entscheiden, dann gibt es dazu nicht nur in Gewächshaus und Zoo etwas zu sehen: „Rechts seht ihr den weltgrößten Kaffeehändler“, erklärt Reimer Dohrn beispielsweise den SchülerInnen des Emilie-Wüstenfeld-Gymnasiums bei einer Fahrt durch den Hamburger Hafen.

Doch eigentlich lautet das Thema „Bananen und Schokolade“, und deshalb fährt die Barkasse vorbei am „Bananenschuppen“, und Dohrn erzählt von den Früchten, die die Hafenarbeiter Gurken nennen, weil sie knallgrün hier ankommen, und erst in Methangas zu dem reifen, was wir dann kaufen.

Beim Kurs auf den „Hamburg Cocoa Terminal“ von Wilhelm Meyer und Consorten macht Dohrn den Kindern klar, wie unser Appetit auf Kakao die Welt verändert hat: Die Schülergruppe soll sich dritteln, und jede bekommt fünf Spielsteine. „Ihr seid Europa, ihr Mittel- und Lateinamerika und ihr Afrika.“ Erst müssen die Lateinamerikaner alle Steine an die Europäer abliefern, denn nachdem Kolumbus vor 500 Jahren auf San Salvador landete, wurden innerhalb von fünf Jahren 90 Prozent der Menschen in Mittelamerika getötet. Am Ende hatten die Europäer zwar das Gold und den Kakao, aber keine Arbeitssklaven mehr. Also holten sie Menschen aus Afrika – vier Steine von Afrika an die Amerikaner –, die sie – so wie damals den Kakao – gleich nach Europa durchreichen können. „Fies“, sagt ein Schüler. „Aufstand“, fordert ein anderer. Und weil so auch die Lateinamerikaner und die Afrikaner dachten, erklärt Reimer, wie es weiterging in der Geschichte des Kolonialismus.

Ebenso eindrücklich wird den Kindern klar, dass von jeder in Kolumbien geernteten Banane für den Plantagenarbeiter nur ein Zehntel dessen bleibt, was wir bei unserem Hamburger Gemüsehändler dafür bezahlen. Der Löwenanteil geht an Großgrundbesitzer Bill aus Miami und die lettische Besitzerin der Kühlschiffe, die die Früchte über den Atlantik nach Hamburg bringen.

Reimer Dohrn war früher Schauermann, im Vorbeifahren erzählt er: „Hier musste ich mich früher jeden Morgen um 6 Uhr melden und wurde dann verteilt.“ Inzwischen ist er Familientherapeut bei der Hafengruppe der Werkstatt 3 in Altona und einer der 15 Teamer, die das Schulcafe Agenda 21, das zum Bildungswerk der W 3 gehört, regelmäßig beschäftigt. Denn wer global lebt, soll auch global wissen. Oder, wie Bildungswerk-Mitarbeiterin Christina Fritzsching es sagt: „Es geht darum, sich von der immer komplexer werdenden Welt nicht erschlagen zu fühlen und in Passivität zu verharren. Wir wollen Fähigkeiten fördern, sich zu entscheiden, und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen.“

Und deshalb bietet das Bildungswerk Schulen globales Lernen zu Themen wie Migration, Kinderarbeit, aber auch zu Biogemüse, Nationalsozialismus, polnische Arbeitskräfte, Krieg, Essen aus dem Genlabor, Straßenkinder, Weltmusik oder afrikanischen Tanz. Immer geht es dabei interaktiv zu, immer gibt es etwas anzusehen, jemanden zu sprechen, etwas zu tun. „Sinnliches Erleben“ nennt Fritzsching das. Die meisten Veranstaltungen können Lehrer an beliebigen Terminen buchen, andere aber stehen fest, weil sie auf der W 3-Bühne stattfinden, wieder andere richten sich an die Pädagogen selbst.

Weil die Schüler in der Regel nicht mehr als fünf Mark für einen solchen Lern-, Mitmach- und Erlebnistag zahlen sollen, ist das Bildungswerk immer auch auf andere Finanzquellen angewiesen. Das sind hauptsächlich die Schulbehörde und die EU, die jedoch immer nur befristet Geld gibt. Deshalb freut das Bildungswerk sich über Spender (Ev. Darlehensgenossenschaft, BLZ 21060237, Konto 1054968) Das Programm gibt es beim Bildungswerk, Nernstweg 32-34, Tel.: 040/390 33 65.

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