: Die rote Laterne in Kreuzberg
Um das Kottbusser Tor trifft der Teufelskreis von Armut und Gesundheit zunehmend Jugendliche. Das Gebiet wird deswegen neben Quartiersmanagern auch vom Programm „Soziale Stadt“ betreut
von UWE RADA
Wenn es stimmt, dass Bildung, Armut und Gesundheit ursächlich zusammenhängen, steht es um Berlin nicht gut. Unter 65-jährige Berliner haben ein deutlich höheres Sterberisiko als Bewohner der übrigen Bundesrepublik. So sagt es der jüngste Jahresgesundheitsbericht der Berliner Gesundheitsverwaltung.
Doch damit nicht genug. Innerhalb Berlins trägt Kreuzberg die rote Laterne, auch was die Lebenserwartung angeht. Mit durchschnittlich 69,6 Jahren sterben die Kreuzberger mehr als fünf Jahre vor den Zehlendorfern. Den absoluten Schlusspunkt dieses sozialen Negativrankings bildet allerdings das Quartier rund um das Kottbusser Tor. Hier trifft der Teufelskreis von mangelhafter Bildung, Armut und Krankheit nicht nur ältere Bewohner, sondern zunehmend auch Kinder und Jugendliche. Die Bandbreite reicht dabei von falscher Ernährung und mangelnder Bewegung bis hin zu Sprachstörungen.
Angesichts dessen ist es sicher kein Zufall, dass das Gebiet rund um den „Kotti“ nicht nur von Quartiersmanagern betreut wird, sondern auch vom Bundesbauministerium. „Soziale Stadt“ heißt das Programm. Einer der Schwerpunkte der Arbeit lautet auch hier: Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung und der Chancen für Jugendliche.
Dass das Quartier rund um das Neue Kreuzberger Zentrum tatsächlich „Modellcharakter“ hat, zeigt allein ein Blick auf die Bevölkerungsstruktur. „Der Anteil der Kinder und Jugendlichen im Gebiet“, sagt Rolf-Peter Löhr, „liegt bei 33 Prozent.“ Das sei mehr als doppelt so hoch wie der Berliner Durchschnitt, aber auch weitaus höher als in anderen Kreuzberger Quartieren. Von diesen Jugendlichen wiederum kämen zwei Drittel aus nichtdeutschen Familien. Löhr arbeitet beim Deutschen Institut für Urbanistik und betreut die Modellprojekte im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“. Im Zusammenhang mit dem Kongress „Armut und Gesundheit“, der gestern in Berlin begonnen hat (siehe unten), verweist er vor allem auf die Situation der Kinder. „Ihre Zukunftschancen sind besonders bedroht.“
Die oft zerütteten Familienverhältnisse, so Löhr weiter, hätten direkte Auswirkungen auf die Gesundheit der Kinder. „Unfälle, verschleppte Krankheiten, unzureichende Kleidung sind an der Tagesordnung.“ Sowohl Quartiersmanager als auch die Betreuer des Modellprojekts „Soziale Stadt“ im Bezirk stehen deshalb vor einem besonderen Problem. „Angesichts der vielfältigen Ursachen können wir nur versuchen, die Lebenslage der Betroffenen auf verschiedenen Ebenen zu verbessern“, sagt Löhr. Dazu gehören Werbung für das Freiwillige Soziale Trainingsjahr ebenso wie Ausbildungsförderung für Jugendliche oder die Stärkung der lokalen Ökonomie. Auch am Kottbusser Tor wird also das Rad nicht neu erfunden. Es sind nur ein paar mehr, die sich daranmachen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen.
Und manchmal sind es ja auch die kleinen Angebote wie der „QuartiersRap Kotti“, bei dem HipHopper aus dem ganzen Bundesgebiet zusammenkommen und den Jugendlichen einen Teil ihres Selbstvertrauens zurückgeben. Das Ergebnis des Projekts, das von Sommer 1999 bis zum vergangenen Jahr stattfand: Viele Jugendliche beteiligten sich, zwei wurden sogar in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt, wenn auch nur in die Sicherheitsbranche. So jedenfalls liest sich die Erfolgsbilanz der Projektbetreuer.
Es ist nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, das weiß auch Rolf-Peter Löhr. Für ihn ist es deshalb das Wichtigste, auch mit den anderen Akteuren im Gebiet zusammenzuarbeiten. Das betrifft am Kottbusser Tor nicht nur das Quartiersmanagement, sondern auch das Familienministerium. Zusammen mit dem Bauminister hat nämlich auch Jugendministerin Christine Bergmann (SPD) einen Fördertopf aufgelegt. Sein Schwerpunkt: „Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten“.
Zumindest was die Fördertätigkeit angeht, gibt es zwischen Kottbusser Tor, Kreuzberg, Berlin und dem Rest der Republik also eine Entsprechung zum sozialen Negativranking.
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