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Feststimmung steckt im Halse

■ Schwerer Unfall: Handballweltrekord mit dem THW Kiel in der Köln Arena wird zur Nebensache

Es war ein Schock, den kaum einer der 18.500 Zuschauer so schnell vergessen wird. Eine Viertelstunde lang mussten sie wie gelähmt zusehen, wie eine Hand voll Ärzte und Betreuer um das Leben des Kieler Spielers Johan Pettersson kämpften. Die offenkundige Verzweiflung der anderen Spieler auf dem Platz ließ keinen Zweifel am Ernst der Lage, schlagartig hatte sich die euphorisierte Masse in einen Zustand kollektiver Angst versetzt. Pettersson, der unglücklich auf den Boden geknallt war und seine Zunge verschluckt hatte, konnte mit einem Luftröhrenschnitt gerettet werden. Das Handballfest hingegen, das am Freitagabend beim Spiel des VfL Gummersbach und dem THW Kiel (25:29) in der Köln Arena inszeniert werden sollte, erholte sich nicht mehr.

In gewisser Weise war der Weltrekord also gescheitert, zwar waren noch nie bei einem Hallenhandballspiel so viele Zuschauer anwesend, das erhoffte Spektakel war jedoch vorzeitig beendet. Dennoch, eine Ahnung blieb. Die Halle war ausverkauft, und bis zu dem Unfall war die Euphorie groß. Es gibt offenbar ein begeisterungsfähiges Klientel in den Metropolen. Und die Befürchtung, dass sich Handballpub-likum vornehmlich aus der für Sponsoren unattraktiveren Zielgruppe jenseits der 50 rekrutiert, wurde auch nicht bestätigt – Hinweise, die für die geplante Aufwertung des Hamburger Handballs nicht ohne Belang sind.

Denn in spätestens zwei Jahren soll der mittelmäßige VfL Bad Schwartau als HSV in der neuen Color-Line-Arena im Volkspark um Titel spielen. Bei diesem Vorhaben könnte man aus den Versuchen, die der VfL Gummersbach und die Köln Arena unternehmen, lernen.

In Köln weiß man, dass der Umzug von Provinzteams in die Metropolen und die großen Multifunktionshallen nicht ganz so einfach ist, wie Manager und Marketing-Experten das gerne hätten. Kiel, aber auch Flensburg, wo gestern eine neue Halle mit 6000 Plätzen eröffnet wurde, können nicht als Vorbild dienen, denn in diesen Städten gibt es keine ernst zu nehmende Alternative zum Handball. Das vielfältig umworbene Sportpublikum der Millionenstädte hingegen „ist weder in beliebiger Menge vorhanden, noch hat es unendlich viel Geld, um es bei Sportveranstaltungen auszugeben“, gibt Bernd Assenmacher, der Geschäftsführer der Betreibergesellschaft der Köln Arena zu bedenken. Damit sich der Aufwand lohnt, müssen die Besucher kräftig konsumieren. So käme es für die Betreiber der Köln Arena niemals in Frage, alle Heimspiele eines Eishockeyteams, einer Handball- und eventuell sogar einer Basketballmannschaft in der Halle austragen zu lassen. Die Basketballer von RheinEnergy Köln dürfen nur zu den Spitzenspielen hier gastieren, und der VfL Gummersbach wird bestenfalls fünf- bis sechsmal pro Saison hier antreten.

Die Vermarkter der Color-Line-Arena protzen ungeachtet dieser Bedenken mit Sport. So wird verkündet, dass neben „Hallenfußball und Leichtathletik, Springreiten und Basketball, Boxen, Kunstturnen und Eiskunstlauf vor allem Eishockey und Handball“ eine neue Heimat im Volkspark finden sollen. „Etwa 120 Veranstaltungen kriegen wir pro Jahr unter“, sagt Assenmacher, „wenn wir da zu viel Sport zulassen, kommen die anderen Veranstaltungen zu kurz.“ Ein Auftritt von Madonna kam wegen der Termine des Eishockeyteams der Kölner Haie nicht zustande.

In Hamburg sind ebenfalls nur 120 Events pro Jahr möglich, wenn da allein 30mal Eishockey und gut 20mal Handball im Rahmen der wenig flexiblen Liga-Spielpläne gespielt wird, ist die Hälfte der Termine schon weg. So manchem Popstar, der gerne in die Arena am Volkspark gekommen wäre, könnte dann wegen eines mittelmäßigen Handballspiels zwischen einem HSV, der sich in der Liga erst mal behaupten muss und Teams wie etwa dem TV Willstätt/Schutterwald, wegbleiben. Der Sport könnte so schnell zu einem Klotz am Bein für die Betreiber der Arena werden. Daniel Theweleit

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