: Reale Utopie der offenen Gesellschaft
Binationale Ehen sind häufig Diskriminierung ausgesetzt. Das EU-Projekt „fabienne“ hat die Praxis in vier europäischen Ländern untersucht. Anhand von Fragebögen und Analyse der Rechtslage in den Ländern wurde eine Bilanz gezogen
Manche heiraten aus Liebe, manche aus Steuergründen oder wegen der Kinder, andere, damit sie überhaupt mit dem Partner, der Partnerin zusammenbleiben können: Binationale Partnerschaften müssen für eine gemeinsame Zukunft viele institutionelle und gesellschaftliche Hürden nehmen. „Mehrfachdiskriminierung“ nennen Fachleute die Realität, unter der sie den Bund fürs Leben schließen. Der Verband binationaler Familien und Partnerschaften iaf e. V. hat das EU-geförderte Projekt „fabienne“ durchgeführt. Untersuchungsgegenstand: ob und in welchem Ausmaß binationale Paare in Deutschland, Frankreich, Österreich und den Niederlanden durch Gesetze und Behördenpraxis diskriminiert werden.
Anhand von Befragungen von über 1.000 binationalen Paaren und Analysen der Rechtslage der jeweiligen Länder wurde die Situation ausgewertet. Auf einer Tagung der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin wurden die Ergebnisse vorgestellt. Etwa die Hälfte der in Deutschland befragten Paare (insgesamt 650) nannte als wichtigste Diskriminierungserfahrung die Tatsache, dass sie nicht selbst über Zeitpunkt und Ort der Eheschließung entscheiden konnten. Viele fühlten sich zur schnellen Heirat genötigt, weil der/die PartnerIn sonst kein Bleiberecht in Deutschland gehabt hätte.
Beklagt wurden auch intransparente Verfahren, bei denen die Betroffenen immer wieder neue, teilweise nur schwer oder gar nicht zu beschaffende Dokumente vorlegen mussten und sich ein undurchschaubares Hin und Her zwischen Standesämtern, Ausländerbehörden und Botschaften entwickelte. Die Paare, die im Ausland geheiratet hatten, waren mitunter länger als ein Jahr getrennt, bis der ausländische Partner nach Deutschland einreisen durfte.
Die Diskriminierung ist schwer greifbar, da sie teilweise strukturell in den Gesetzen angelegt ist. So empfinden die Betroffenen etwa das Gesetz zur Verhinderung von Scheinehen in den Niederlanden, nach dem jede Eheschließung mit einem außereuropäischen Partner im Vorfeld einer Überprüfung unterzogen wird, als diskriminierend. Der Scheinehenverdacht führt auch in Deutschland zu Praktiken wie Nachbarschaftsbefragung und Schnüffelei, die für die betroffenen Paare diskriminierend wirken. Umgekehrt hat die Entschärfung des Ausländergesetzes in Frankreich nun erheblichen Druck von den binationalen Paaren genommen. Sie sehen sich nicht mehr einem generellen Scheinehenverdacht der Behörden ausgesetzt. Für schwule und lesbische Paare bringt die fehlende Möglichkeit einer Eheschließung wie in Österreich eine strukturelle Ungleichbehandlung: Es ist ihnen unmöglich ihre Partnerschaft mit aufenthaltsrechtlicher Absicherung zu leben.
Als diskriminierend erfuhren Paare häufig das Verhalten der BehördenmitarbeiterInnen. Die Ausländerbehörden wurden von einem Drittel der Befragten als unfreundlich bis sehr unfreundlich bewertet, bei den deutschen Botschaften hatte sogar mehr als die Hälfte der Paare schlechte Erfahrungen. „Die reale Utopie einer offenen Gesellschaft“, wie der Wissenschaftliche Leiter für interkulturelle Bildungsforschung in Klagenfurt, Dietmar Larcher, die binationalen Ehen bezeichnete, ist vielfach gefährdet. Auch durch die Gesetzgebung nach dem 11. September. Der Europaabgeordnete Ozan Ceyhun sagte für die Zukunft „strenge Maßstäbe“ beim Familienachzug voraus. Der Leiter des Referats für Visumsangelegenheit im Auswärtigen Amt, Stephan Grabherr, wusste: Wer sich in Zukunft mit einem Iraker verheiraten wolle, müsse mit langen Wartezeiten und großen Hürden rechnen. EDITH KRESTA
Die ausführlichen Ergebnisse des Projekts unter: www. fabienne-iaf.de
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