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Wo sind denn hier die Nazis?

An der Oranienburger Straße in Berlin wollen Gegendemonstranten die Synagoge gegen die Rechten verteidigen. Doch statt der NPD kommt die Polizei

von DIRK HEMPEL und BARBARA BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA

Vor der Synagoge an der Oranienburger Straße in Berlin herrscht Verwirrung. Die Polizei ist mit einem Großaufgebot vertreten: Wasserwerfer und Räumpanzer blockieren die Straße. Vor der Synagoge schieben behelmte Beamte Wache. An den Absperrungen stehen tausende Demonstranten. Sie wollen sich querstellen und Gesicht zeigen. So wie es zahlreiche Politiker, Bürgerinitiativen, Gewerkschaften, jüdische und kirchliche Einrichtungen gefordert haben.

Den Demonstranten erscheint das martialische Polizeiaufgebot unnötig. Schließlich sind sie am Samstag in die Oranienburger Straße gekommen, um die Synagoge zu verteidigen. Gegen die rechtsextreme NPD, die einen Aufmarsch durch das ehemals jüdische Scheunenviertel Berlins angekündigt hat. Vorbei an der Synagoge, die am 9. November 1938 nur knapp der Zerstörung durch die Nazis entging.

Es sind Junge und Alte sowie ganze Familien gekommen. Viele Mitglieder der jüdischen Gemeinde wollen sich nach ihrem Gottesdienst in der Synagoge der NPD in den Weg stellen. Die Oranienburger Straße ist auch der Endpunkt einer Demonstration von 3.000 überwiegend jugendlichen Menschen, die einem Aufruf der Antifaschistischen Aktion Berlin gefolgt sind. Sie wollen weiterziehen bis zur Friedrichstraße, wo sich die NPD sammelt. Aber an der Polizeiabsperrung in der Nähe der Synagoge ist Schluss. „Nazis raus!“, ruft die Menge immer wieder.

Warten auf die NPD

Von den Nazis ist nichts zu sehen. In den Medien haben viele gehört, dass die NPD-Route verlegt worden sei. Nur wohin, weiß niemand. Und jene, die es wissen, verraten es nicht: „Der NPD-Aufzug könnte so verlaufen wie angemeldet. Oder auch nicht“, erklärt ein Polizeisprecher.

Was er nicht sagt: Schon am 6. November haben sich NPD und Innenverwaltung auf eine Route verständigt, auf der weder die Synagoge noch die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ liegen, sondern die knapp am Scheunenviertel vorbeiverläuft. Die Polizei hatte das auf Wunsch der NPD geheim gehalten.

An der Oranienburger Straße indes glauben die Demonstranten noch immer, dass die rechtsextremen Ehrenretter der Wehrmacht durch das ehemals jüdische Viertel ziehen. „Wenn ihr die Nazi-Demo nicht verbieten könnt, dann lasst uns wenigstens durch, damit wir sie verhindern können!“, schallt es der Polizei entgegen und schon kommt es zum ersten Gerangel an der Absperrung. Die Polizei sprüht CS-Gas, Schlagstöcke werden eingesetzt, Steine und Feuerwerkskörper fliegen, Wasserwerfer treiben die Menge direkt vor die Synagoge. Ein älterer jüdischer Mann ist den Tränen nah. Ein Polizist in Kampfuniform hat sich direkt vor ihm postiert, starrt ihm emotionslos in die Augen.

„Ich habe ein Recht, hier zu sein!“, schreit der Mann erregt.

Als Polizisten versuchen, die Kabel der Lautsprecheranlage des Wagens der Nazigegner durchzuschneiden und eine Scheibe einschlagen, fliegen erneut Steine. Tränengas und Wasser Marsch sind die Antwort. Brennende Barrikaden werden errichtet, Polizeifahrzeuge umgeworfen, Scheiben von Banken gehen zu Bruch.

Die Verhandlungsbemühungen der Jüdischen Gemeinde bleiben erfolglos. Vor dem Gotteshaus trotzen rund 30 Synagogenbesucher der Polizei und setzen sich auf die Straße. Weitere Demonstranten setzen sich dazu. Polizisten zerren sie an den Haaren werfen sie auf den Asphalt vor der Synagoge, boxen und treten auf sie ein. Vertreter der Jüdischen Gemeinde werden allerdings nicht angerührt. Diese rufen den Beamten „Schämt euch!“ und „Schande“ zu. Und wollen immer wieder wissen: Wo sind die Nazis jetzt? Warum schützt die Polizei sie überhaupt?

Ganz vorn: Mahler

Wenige hundert Meter entfernt ziehen etwa 3.500 NPD-Anhänger, begleitet von einem großen Polizeiaufgebot mit Hubschraubern, die Friedrichstraße Richtung Norden entlang. Angeführt wird der Zug gegen die Wehrmachtsausstellung von dem früheren RAF- und jetzigen NPD-Anwalt Horst Mahler und dem NPD-Vorsitzenden Udo Voigt.

Viele der vorwiegend jungen Teilnehmer schwenken Plakate, auf denen Soldaten mit Stahlhelm zu sehen sind und Aufschriften wie „Mein Großvater war kein Verbrecher“. In Sprechchören wird Jan Philipp Reemtsma angegriffen, der Leiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung, das die Wehrmachtsausstellung konzipierte. „In Berlin und überall, Reemtsma bringen wir zu Fall“.

Die Zwischenkundgebung wird von einigen wenigen Dutzend Gegendemonstranten, denen es gelungen ist, bis zu der NPD-Route durchzukommen, gestört. Mit Pfeifkonzerten, „Nazis raus!“-Rufen und dem Schlagen von Topfdeckeln.

Die Einsatzleitung an der Oranienburger Straße indes zeigt sich kompromisslos. Selbst der Weg zur Wehrmachtsausstellung in der parallel verlaufenden Auguststraße bleibt den Gegendemonstranten verwehrt. Die Krawalle verlagern sich weiter nach Norden, wo Jugendliche Barrikaden errichten. Während aufgebrachte Bürger mit Beamten diskutieren, erklärt die Polizei die Versammlung per Megaphon für beendet – unter Androhung von „Zwangsmaßnahmen“.

Erst als Gregor Gysi sich einschaltet, entspannt sich die Situation. Nach Verhandlungen mit der Polizei verkündet der Bundestagsabgeordnete (PDS) per Mikrophon von einem Wasserwerfer herab freien Abzug der Menge vor der Synagoge in Richtung Wehrmachtsausstellung. Der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele macht die Polizei für die Krawalle verantwortlich: „Die Leute wollen doch nur das Scheunenviertel gegen die Nazis verteidigen – und das ist ihr gutes Recht.“

Wenig später entspannt sich dann die Lage. Die Nazi-Demo ist beendet, ist überall zu hören. Unter Polizeischutz werden die NPD-Anhänger in S-Bahn-Züge eskortiert. Der rechte Spuk ist vorbei. Die Gegendemonstranten sind erleichtert. Aber zugleich enttäuscht: „Die Nazis kamen zwar nicht ins Scheunenviertel, unser Protest aber kam auch nicht bei ihnen an“, sagt ein Jugendlicher.

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