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Angst vor Bin-Laden-TV

Reaktion auf Terroranschläge: Afghanische, iranische und pakistanische Sendungen im Offenen Kanal müssen künftig auf deutsch übersetzen  ■ Von Heike Dierbach

Seit elf Jahren sendet Saliha Kalliqie ihr afghanisches Magazin „TV Hindukusch“ im Offenen Kanal Hamburg. Eine Stunde, jeden ersten Mittwoch im Monat. Nie gab es an den Inhalten der Sendung etwas zu beanstanden. Aber beim Offenen Kanal ist nach den Anschlägen auf das World Trade Center nichts mehr, wie es war: Seit dem 1. Oktober muss Kalliqie jeden Wortbeitrag übersetzen und bei Liedern das Thema angeben. Die Vorschrift gilt für alle 28 afghanischen, pakistanischen und iranischen Sendungen.

Leonhard Hansen, Beauftragter für den Offenen Kanal bei der Hamburgischen Anstalt für neue Medien (HAM), begründet die Maßnahme unter zwei Aspekten: Zum einen seien Afghanistan, Pakistan und Iran derzeit „politische Krisengebiete“: „Wir brauchen eine größere Sicherheit, um zu verhindern, dass über den Offenen Kanal strafbare Aussagen verbreitet werden“. Zum anderen - die Debatte führe man schon länger - sollten auch die deutschen Zuschauer angesprochen werden, „um den Dialog zu fördern“. Zahlreiche der betroffenen Programmmacher sähen deshalb die neue Regelung auch positiv. Denn ohne Übersetzung, so Hansen, seien ja die deutschen Haushalte „ausgeschlossen“. Warum dann LateinamerikanerInnen, SkandinavierInnen oder TürkInnen weiter nur für ihre Landsleute senden dürfen? „Das hat natürlich mit der politischen Lage zu tun. Die Bundesrepublik ist schließlich an dem Konflikt beteiligt“.

Kalliquie, selbst seit zehn Jahren Deutsche, empfindet die neue Vorschrift als Generalverdächtigung: „Wir bemühen uns in der Sendung seit elf Jahren um Verständigung. Das kann anhand der Aufzeichnung-en überprüft werden.“ Für die gelernte Fernsehmoderatorin bedeutet die Übersetzung nicht nur einen enormen zusätzlichen Arbeitsaufwand. Sie kritisiert auch den Verlust an inhaltlicher Sendezeit. „Vor allem ältere Afghaninnen und Afghanen können kaum deutsch. Die haben nur die paar Sendungen im Offenen Kanal.“ Und diese müssen sie sich bereits untereinander „teilen“ - denn TV Hindukusch sendet schon bisher zweisprachig, auf paschtu und dari.

Hansen verweist auf die Möglichkeit der Untertitel, die keine zusätzliche Zeit verbrauchen. Natürlich bedeute die neue Regelung eine „kleine Einschränkung“. Sie sei aber kein Kontrollinstrument. „Durch die Übersetzung soll gerade gewährleistet werden, dass im Offenen Kanal weiterhin jeder senden darf, ohne, dass der Beitrag vorher abgenommen werden muss.“ Es werde nicht einmal kontrolliert, ob die Vorschrift zur Zweisprachigkeit eingehalten wird.

Die Offenen Kanäle anderer Bundesländer haben übrigens ebenfalls neue Regelungen eingeführt – wenn auch nicht so weitgehende: In Hessen muss nun vor jeder fremdsprachigen Sendung eine Inhaltsangabe eingereicht werden, in Berlin die komplette Übersetzung. Diese Praxis ist in Schleswig-Holstein schon immer üblich, dort wurden jetzt aber die Überprüfungen verstärkt. Strafbare Inhalte wurden dabei bislang nicht entdeckt.

TV Hindukusch, morgen, 21 Uhr, Offener Kanal, Kabelkanal 2. Aus Anlass des Ramadan moderiert Kalliqie diese Ausgabe mit Kopftuch.

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