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Für immer umstritten

Die Diskussion um die Nazivergangenheit Carl Diems geht weiter: Der Deutsche Sportbund verleiht weiter den nach ihm benannten Preis, Historiker sollen eine Biografie des Sportführers erstellen

von CHRISTOPH BERTLING

Um die seit Jahren heftig geführte Diskussion über den 1962 verstorbenen Sportfunktionär Carl Diem endlich zu beenden, soll nun eine umfassende Biografie über den Organisator der Olympischen Spiele 1936 in Berlin in Angriff genommen werden. Nicht nur Diems Sohn Carl-Jürgen fordert ein solches Werk, das sich intensiv mit dem Leben seines Vater auseinander setzen soll, auch der Deutsche Sportbund (DSB) denkt über ein Historiker-Konsortium nach, das das Wirken des Gründers der Deutschen Sporthochschule Köln aufarbeiten soll. „Eine solche Biografie steht schon seit über 20 Jahren aus“, moniert der 65-jährige Sohn. „Wäre eine solche geschrieben worden, wäre die Diskussion nie dermaßen ausgeufert“, glaubt er.

Gerade in jüngster Zeit musste sich Carl-Jürgen Diem mit der Rolle seines Vaters in der nationalsozialistischen Zeit intensiv auseinander setzen – und zwei Niederlagen einstecken. Diem hatte unlängst vor dem Darmstädter Landgericht die beiden Vizepräsidenten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), Theo Rous und Rüdiger Nickel, wegen übler Nachrede angeklagt. Nickel und Rous hatten im Zuge der DLV-Preisumbenennung des „Diem-Schildes“ in „Ehrenschild“ Äußerungen Carl Diems vom 18. März 1945 auf dem Berliner Reichssportfeld vor versammelter Hitlerjugend herangezogen. Diem soll nach Aussage des früheren ZDF-Chefredakteurs und Zeitzeugen Reinhard Appel kurz vor Kriegsende die Jugendlichen aufgefordert haben, den „finalen Opfergang für Führer und Vaterland“ zu leisten. Hauptsächlich aufgrund dieser Rede beschloss der DLV im Frühjahr, dass Diems Werk durch eine Grundeinstellung geprägt war, die „undemokratisch, nationalistisch, inhuman und rassistisch“ gewesen sei. Zwar bestreitet Carl-Jürgen Diem, dass sein Vater eine solche Rede gehalten habe, seine Klage blieb allerdings ohne Erfolg. Der Richter lehnte den „Ehrenschutz“ für seinen Vater ab.

Derweil hat man sich beim Deutschen Sportbund (DSB) entschieden, die „Carl-Diem-Plakette“ nicht umzubenennen und den Wissenschaftspreis unter gleichem Namen weiter zu vergeben. Bereits in den 90er-Jahren hatte der DSB eine Expertenkommission unter der Leitung des früheren DSB-Vizepräsidenten Ommo Grupe, einst Schüler Diems, gebildet, die keinen Grund zur Umbenennung sah. Nach aktuellen Diskussionen, die vor allem durch die Publikation „Der Sportführer – Die Legende um Carl Diem“ von Achim Laude und Wolfgang Bausch im letzten Jahr verschärft wurden, beschloss das DSB-Präsidium, die Expertenrunde um erneute Prüfung zu bitten. Im Gegensatz zum DLV aber entschied die Kommission erneut pro Diem. Doch auch wenn sich der DSB für eine Ehrung Diems ausspricht, ist seit Jahrzehnten dessen Glanz mehr als verblasst. Seine aktive Rolle im NS-Regime war bereits für viele Kommunen Anlass, Diem-Straßen umzubenennen. Dass eine allumfassende Biografie die Diskussion um den umstrittenen Sportfunktionär beenden würde, erwartet DLV-Vizepräsident Rous nicht: „Carl Diem wird bis in alle Zeiten umstritten bleiben“, sagt er.

Wie stark die Gemüter erhitzt sind, zeigt der verbale Missgriff von Winfried Joch. Der emeritierte Professor für Bewegungswissenschaften an der Universität Münster schrieb in der jüngsten Publikation „Freunde der Leichtathletik“, dass die im Frühjahr vom DLV beschlossene Umbenennung des Diem-Schildes mit einer „geistigen Bücherverbrennung“ vergleichbar sei.

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