: Durchbruch am Petersberg
Afghanische Delegationen einigen sich doch noch auf eine Übergangsregierung. Die Besetzung der Posten ist weiter strittig. Auch eine multiethnische Friedenstruppe unter UN-Mandat soll ins Land
aus Königswinter HENK RAIJER
„Die Zeit ist gekommen, Ihnen auch mal gute Neuigkeiten zu überbringen“, witzelte UN-Sprecher Ahmed Fawzi gestern Nachmittag bei der täglichen Pressekonferenz auf dem Rhein in Königswinter. „Wir haben einen Stufenplan auf dem Weg zu einem freien Afghanistan.“
Am achten Verhandlungstag auf dem Petersberg bei Bonn haben sich die Delegierten der Afghanistan-Konferenz auf die wesentlichen Details eines Abkommens zur politischen Neuordnung in ihrem Land geeinigt. „Es kam heute Nacht ein Gefühl des Jubels im Verhandlungsraum auf, als wir fertig waren. Manche hatten Tränen in den Augen, ich auch“, hatte Fawzi schon am frühen Morgen bekannt, nachdem die Konferenz die wichtige Hürde genommen hatte.
Unterschrieben sei das Abkommen zwar noch nicht, so Fawzi, aber die vier afghanischen Delegationen, die ihr Volk bei den „UN Talks on Afghanistan“ in Königswinter repräsentierten, hätten sich, von kleinen Änderungen abgesehen, auf die UN-Vorschläge verständigt. Dazu gehören eine Übergangsregierung, die sechs Monate im Amt bleiben soll sowie eine 21-köpfige Sonderkommission zur Bildung einer Loja Dschirga, der tradionellen Ratsversammlung. Innerhalb der nächsten zweieinhalb Jahre sollen erste freie Wahlen stattfinden und eine Verfassung verabschiedet werden. Überdies soll ein Oberstes Gericht eingerichtet und eine multiethnische Friedenstruppe unter UN-Mandat in Afghanistan stationiert werden, sobald die provisorische Regierung ihre Amtsgeschäfte aufgenommen haben wird. Nach Angaben von Fawzi sollten die Soldaten der Friedenstruppe die Sicherheit „in Kabul und Umgebung“ gewährleisten und könnten gegebenenfalls auch in andere Regionen geschickt werden.
Die Namen des Chefs der geplanten Interimsregierung sowie der 28 Kabinettsmitglieder wollte der UN-Sprecher am Nachmittag noch nicht bekanntgeben. Neben dem Paschtunen-Führer Sajed Hamid Karsai, der von der UNO ins Spiel gebracht worden war und der von der Nordallianz favorisiert wird, und dem Leiter der Delegation des afghanischen Exkönigs, Abdul Sattar Sirat, waren der paschtunische Geistliche Sajed Ahmed Gailani und der 1992 für kurze Zeit regierende Präsident Sibgatullah Modschadiddi im Gespräch. Wie aus UN-Kreisen verlautete, sollen sich die Delegierten allerdings bereits auf Karsai festgelegt haben.
Was die Liste der Kabinettsmitglieder betrifft, erklärte UN-Sprecher Fawzi: „Wir haben die Vorschläge aller vier Delegationen entgegengenommen und verfügen jetzt über 150 Namen von Personen, die für einen Posten in der provisorischen Regierung in Kabul in Frage kommen könnten“, so Fawzi. „Daraus wollen die Delegationen möglichst noch heute die vorgesehenen 28 plus den Regierungschef destillieren.“
Auch über den Zeitpunkt der Übernahme der Amtsgeschäfte in Kabul herrschte gestern Nachmittag weiterhin Unklarheit. Das hängt nicht zuletzt von der Bereitschaft des nominellen Präsidenten der Nordallianz, Burhanuddin Rabbani, ab, die Liste mit Personen, die nicht in Kabul, sondern in Deutschland vorgelegt werden soll, zu akzeptieren. Das hat Rabbani, wie es heißt, inzwischen getan. Im Streit um die Machtverteilung in Kabul hat offenbar Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) Rabbani während eines zehnminütigen Telefongesprächs zum Einlenken bewegt und ihn gedrängt, seinen Widerstand gegen die Namenslisten der Nordallianz für die Interimsregierung aufzugeben.
UN-Sprecher Ahmed Fawzi zeigte sich gestern Nachmittag zuversichtlich, dass sich die Delegationen noch am Abend auf die endgültige Namensliste einigen würden. Für heute wird nach Meinung von Beobachtern die feierliche Unterzeichnung des Abkommens über die Zukunft Afghanistans angestrebt. Eine Woche nach der Zeremonie auf dem Petersberg könnte die Interimsregierung dann automatisch auch international anerkannt sein.
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