: Stadt nach Gutsherrenart
Vivico ist nach dem Land der größte Flächenbesitzer in Berlin und führt sich auch entsprechend auf. Vor allem in Friedrichshain wird sich zeigen, inwieweit die öffentliche Hand ihre Planungen durchsetzt
von UWE RADA
Den Mai dieses Jahres hat Mikado Kristine Schütt nicht in guter Erinnerung. Zwei Jahre lang hatten Schütt und andere Künstler auf dem Gelände des ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerkes Franz Stenzer den RAW-Tempel betrieben. Zwei Jahre lang ein Gelände wieder nutzbar gemacht, das seit längerem brachlag. Dann kam die Kündigung. Wegen angeblicher „erheblicher Vertragsverletzungen“ wollte die Vivico, die Eigentümerin an der Revaler Straße, die Künstler vom Gelände jagen.
Auf Kündigungen versteht man sich bei der Vivico. Davon wissen nicht nur die RAW-Templer ein Lied zu singen, sondern auch hunderte von Laubenpiepern. Schließlich ist die Vivico nicht irgendein Grundstückseigentümer, sondern neben dem Land der größte in Berlin. Der Nachfolgerin der „Eisenbahnimmobilien-Management“ (EIM) und hundertprozentigen Tochter des Bundes gehören sämtliche Grundstücke der Bahn, die nicht unmittelbar für den Fahrbetrieb notwendig sind. Das sind die Kleingartenkolonien entlang der Bahnstrecken ebenso wie große zusammenhängende Flächen wie etwa das Revaler Viereck und dem Ostbahnhof in Friedrichshain oder das Gleisdreieck in Kreuzberg.
„Für Kleingärten ist nicht derselbe Erlös erzielbar wie für Bauland“, sagt der Berliner Vivico-Chef Jürgen Heyder. Und Erlöse sind für Heyder der Dreh- und Angelpunkt des Geschäfts. „Unser Eigentümer ist zwar der Bund, aber wir agieren wie ein privates Unternehmen, damit möglichst viele Erlöse in den Bundeshaushalt zurückfließen“, begründet er.
Diese Unternehmensphilosophie bringt die Vivico nicht nur in Konflikte mit Nutzern wie den Friedrichshainer Künstlern oder den Laubenpiepern, sondern auch dem Land Berlin und den Bezirken. Zum Beispiel am Gleisdreieck. Für Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) und den Kreuzberger Baustadtrat Franz Schulz (Grüne) steht seit längerem fest, dass auf dem Gelände, auf dem früher ein Biotop gedieh, nun ein Park entstehen soll. Vivico als Eigentümer dagegen möchte am liebsten den Potsdamer Platz über die Yorckstraße hinweg nach Süden verlängern. „Auf dem letzten großflächigen Areal im Zentrum der Stadt“, heißt es in einer Projektbeschreibung, „entwickelt die Vivico ein neues lebendiges Stadtquartier.“
Kommt nun, zehn Jahre nach der Erpressung des Landes durch Daimler und Sony am Potsdamer Platz, die Stadtentwicklung nach Gutsherrenart zurück nach Berlin? Es dauerte jedenfalls sehr lange, bis sich die Vivico bereit erklärte, bestehende Pläne auf dem Gleisdreieck zumindest teilweise anzuerkennen. Der Kompromiss, der derzeit verhandelt wird, sieht vor, dass die Vivico auf 42 Hektar ihr neues Stadtquartier baut, während die Anwohner lediglich 16 Hektar für den lange ersehnten Park bekommen.
Das Geschäftsgebaren der Vivico ist Katrin Lompscher schon lange ein Dorn im Auge. „Die agieren als wären sie etwas Besonderes, dabei sind sie ein ganz normaler Eigentümer wie jeder andere auch“, sagt die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der PDS. Doch Lompschers Kritik richtet sich nicht nur gegen die Vivico, sondern auch gegen den Senat. „Wenn man ein städtebauliches Konzept hätte, könnte man die öffentlichen Interessen gegenüber der Vivico auch besser durchsetzen.“
Das betrifft vor allem den Spreeraum. Zwischen Schilling- und Warschauer Brücke, so lautet die übereinstimmende Prognose von Immobilienexperten, liege die neue Entwicklungsachse Berlins. Diesem Umstand tragen Einzelprojekte wie das Trias-Gebäude, der Neubau des Novotels, das Internationale Solarcenter oder die Planungen für das Areal südlich des Ostbahnhofs mit zwei 117 und 70 Meter hohen Türmen bereits Rechung. Das größte dieser Projekte wird aber der neue Stadtteil zwischen Ostbahnhof und Warschauer Brücke sein. Auf dem 21 Hektar großen Gelände soll nicht nur eine neue Großhalle für 16.000 Zuschauer entstehen, sondern auch Wohnungen, Büros und Einzelhandel. Investor ist die amerikanische Anschutz Entertainment Group, die das ehemalige Vivico-Gelände entwickeln wird.
Spätestens mit diesen Vorhaben gerät der Spreeraum allerdings in Wettbewerb zu bereits bestehenden Plänen. Das ist auch der Grund, warum sich nun auch die Stadtentwicklungsverwaltung einschaltet. „Zuviel Bruttogeschossfläche auf dem Anschutz-Gelände ist problematisch“, sagt Strieders Chefplaner Dietrich Flicke, „weil wir sonst in Konkurrenz zu den Planungen am Alexanderplatz geraten.“
Nachdem die Strieder-Behörde die Bahnflächen lange Zeit nicht mitbedacht hat, will man nun mit einem Gutachten zum Spreeraum wieder Land gewinnen und eine städtebauliche Leitplanung formulieren. „Höchste Zeit“, sagt dazu PDS-Bauexpertin Katrin Lompscher und nennt gleich die Prioritäten ihrer Partei. „Im Vordergrund stehen die Infrastrukturmaßnahmen. Da müssen wir sehen, dass wir die gegenüber den Investoren durchsetzen.“
Noch allerdings sitzen die Investoren nicht in den Startlöchern. „Am Alexanderplatz“, berichtete im Sommer Jürgen Kuhle von der Aengevelt Immobilien-Gruppe, „haben wir uns bemüht, den Schlüsselnutzer für das erste Hochhausprojekt im Bürobereich zu finden. Das war schlicht nicht möglich.“
Gleiches dürfte auch für den neuen Entwicklungsraum an der Spree gelten, zumal in der bereits fertig gestellten Oberbaum-City noch immer Büroräume leer stehen. Kritiker fordern deshalb bereits, die Planungen für weitere Areale offen zu halten und viel mehr auf temporäre Nutzungen wie „Maria am Ostbahnhof“ zu setzen. Der legendäre Club muss demnächst ausziehen, ohne dass mit dem geplanten Neubau an gleicher Stelle begonnen würde.
Der größte Konkurrent um den Immobilienmarkt im Spreeraum ist sich allerdings Vivico selbst. „Mit dem Bau der Anschutz-Halle samt umliegender Gebäude“, weiß auch Vivico-Pressesprecher Brandt, „wird es für das Revaler-Viereck schwerer.“ Nicht zuletzt deshalb will Vivico das Gelände mit dem RAW-Tempel selbst entwickeln. Ein städtebaulicher Wettbewerb ist bereits im Gange, die Bürgerbeteiligung hat begonnen. Und plötzlich ist auch der RAW-Tempel wieder im Spiel. „Offenbar kann die Vivico auf bereits vorhandene Nutzer gar nicht verzichten“, sagt der Architekt Christian Mika, der bei der Bürgerbeteiligung die Interessen der Anwohner vertritt.
Gleichwohl ist auf dem Gelände des ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerks das letzte Wort noch nicht gesprochen. Während sich die meisten Anwohner für möglichst viele Grünflächen aussprechen, will die Vivico so dicht wie möglich bebauen. Wie dicht, das will sie allerdings nicht verraten. Im städtebaulichen Wettbewerb wird zwar vorgegeben, die denkmalgeschützen Hallen zu erhalten. Über die Baumasse schweigt sich die Vivico allerdings aus.
So sieht sie eben aus, die neue Stadtentwicklung nach Gutsherrenart.
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