Nächtliche Gigantensuche

Das ZDF hat noch keinen neuen Intendanten. Nach dem erfolglosen ersten Wahlgang steigt NDR-Direktorin Dagmar Reim aus, ZDF-Kandidat Helmut Reitze bleibt im Rennen. Fortsetzung im Januar

aus Mainz PETER EKKEHARD

Am Anfang sieht es aus, als sei es wirklich Fernsehen. Das Imperium liegt auf einem Berg, ein bisschen wie eine Burg, die nicht weiß, was sie zu verteidigen hat. Im Dunkel die Hausklötze, in einem, dem Turm des Intendanten, brennt noch Licht im 14. Stock. Ansonsten ist nur der Glaspalast hell erleuchtet, sanft fällt Licht auf die vielen, vielen Limousinen, wie bei den „Guldenburgs“. Schon bei der Berganfahrt kommt der Sitzungssaal in Sicht, wenn man will, kann man genau sehen, wie gewählt wird, doch eigentlich geschieht nichts.

Zwei Tischflügel, auf die sich viele alte Männer verteilen, die sich zurücklehnen und bedächtig bewegen. Da ist die Urne, da sind die Kandidaten, die in die Mitte gehen, ein großer Mann, eine zierliche Frau. Ein Gigant ist der Amtsinhaber von Sitzungsteilnehmern genannt worden, und der Neue soll natürlich auch einer sein. „Heute passiert hier nichts“, wurde schon auf dem Weg zur Sitzung geraunt.

Am Nikolausabend haben sich die Fernsehräte des ZDF im Konferenzzentrum des Senders auf dem Lerchenberg in Mainz getroffen, um der größten Fernsehanstalt Europas einen neuen Intendanten zu wählen. In den Gremien des ZDF sitzen hauptsächlich Menschen, die eigentlich Besseres zu tun haben, als Fernsehanstalten neue Chefs zu geben: Sie sind Ministerpräsidenten, Regierungssprecher, Staatskanzleichefs oder auch Funktionäre beim Deutschen Industrie- und Handelstag. In der Nacht wird man wissen, dass sie alle ungeachtet ihres Alters sehr darin geübt sind, solche Sitzungen mühelos durchzustehen.

Und das, obwohl das meiste bekannt ist, die Aussichtslosigkeit des Wahlversuchs unter den festgefügten, nach Parteien aufgeteilten Blöcken, die beide nicht die nötige Mehrheit haben. Ebenso die Redundanz der Wortbeiträge, die Formeln der Rhetorik, die Abwesenheit von Meinungen jenseits der Zirkel. „Mauscheleien in Hinterzimmern“, hat NRW-Regierungschef Wolfgang Clement über das Verfahren der Intendantensuche geschimpft, aber keiner hat ihn richtig ernst genommen, weil man ihn selbst auch in diesen Zimmern vermutet.

Eigentlich haben sogar alle Beteiligten geschimpft. Einige Fernsehräte stöhnen zum Beispiel, das lange Drama der Intendantensuche schade dem Ansehen des ZDF. Hätten die Parteien wie gewohnt den richtigen Mann im Vorfeld ausgeknobelt, würden jetzt nicht alle über die Umklammerung des ZDF durch die Parteien reden. Andere Fernsehräte hört man auch über sich selbst klagen. Wie sie sich gedemütigt sehen, nichts zu tun, als die Politik der beiden „Freundeskreise“ durchzustimmen, die die beiden großen Parteien repräsentieren.

Diese Freundeskreise sind eine quasi-offizielle Einrichtung des ZDF. Das sieht man schon daran, dass ihre Sitzungen wie selbstverständlich auf der Anzeigetafel im ZDF angekündigt werden. Die Freundeskreise tagen vor jeder Sitzung und zwischen den Abstimmungen. Der rote Freundeskreis des Mainzer Staatskanzleichefs Klaus Rüter und der schwarze Kreis des langjährigen Bayernkurier-Chefs Wilfried Scharnagl schicken Emissäre hin und her und achten darauf, dass die andere Seite keinen Stich bekommt. Gegen Mitternacht greift sich ein „roter“ Fernsehrat zwei Weinflaschen aus den Händen der ZDF-Hostess und sagt zur Entschuldigung, „die anderen“ hätten viel mehr Wein in ihrem Tagungsraum.

Doch da ist schon alles vorbei. Die Wahl wird verschoben auf den 18. Januar, auch wenn die unionsnahen Räte noch versuchen, einen dritten nächtlichen Wahlgang zu erzwingen. Die Ministerpräsidenten Beck und Vogel sowie Rüter und Scharnagl sollen miteinander reden. NRW-Ministerpräsident Clement lässt ankündigen, er benenne vielleicht noch einen neuen Kandidaten von außen, aber das hat er schon öfter gesagt. Vielleicht hat also auch alles wieder von vorne begonnen, es hängt von der Sichtweise ab.

Dabei gab es doch vorher am Donnerstagabend eine Kandidatenvorstellung, nach der die roten Fernsehräte aus der Sitzung kamen und sich schier begeistert von „ihrer“ Kandidatin Dagmar Reim gezeigt hatten, die schwarzen hin und weg von ihrem Kandidaten Helmut Reitze. Ein CDU-naher Fernsehrat, der als Politiker gern den Konsenszwang kritisiert, hatte erklärt, er wähle Reitze nicht deshalb, weil er im schwarzen Freundeskreis sitze: Reitze habe sich einfach überzeugender vorgestellt. Später hatten zwei Wahlgänge geendet wie vorauszusehen: die 42 schwarzen Stimmen für Reitze, die 35 roten für Reim. Der neue Intendant braucht aber 47.

Um kurz vor 23 Uhr hatte Dagmar Reim ihren Mantel genommen und erklärt, sie fahre nach Hause – und trete damit nicht mehr an. „Die Blöcke sind formiert, Mainz bleibt Mainz“, erklärt die Kandidatin, und sie habe sich von vornherein vorgestellt, dass es so endet. Kurze Zeit später hatte „Heute nacht“, das Helmut Reitzes Abteilung unterstellte ZDF-Nachrichtenmagazin, per Eilmeldung verbreitet, auch Reitze trete nicht mehr an. Aber das stimmte gar nicht.

Bis zwei Uhr nachts tagen die Freundeskreise noch. Aus den Sitzungszimmern kommen immer wieder Fernsehräte zum Rauchen und erzählen, wie traurig alles für das ZDF ist.

Vor dem ZDF-Konferenzzentrum wartet seit Stunden ein Reisebus. Am Ende fährt er die seltsame Gesellschaft in ihr Hotel. Nur oben im Intendantenturm brennt weiterhin Licht.