: Brechmittel wirken todsicher
19-Jähriger aus Kamerun nach Brechmitteleinsatz klinisch tot. Schwarz-Schill-Senat will dennoch weiter kotzen lassen ■ Von Kai von Appen
Hamburg hat möglicherweise das erste Todesopfer wegen des umstrittenen Brechmitteleinsatzes gegen Drogendealer zu beklagen. Ein 19-Jähriger aus Kamerum erlitt gestern Morgen beim Versuch, ihm zwangsweise Brechmittel einzuflößen, im Institut für Rechtsmedizin der Uniklinik Eppendorf einen Herzstillstand. Trotz Reanimierungsversuchen ist er klinisch tot. „Es ist zu schwerwiegenden Hirnschädigungen gekommen“, gesteht Institutsleiter Professor Klaus Püschel ein. „Es ist möglich, dass der Patient in den nächsten Tagen stirbt.“
Der Rechtssenat will dennoch weiter würgen lassen: „Wir werden am Prinzip des Einsatzes von Brechmitteln nichts ändern“, erklärten Innensenator Ronald Schill und sein CDU-Justizkollege Roger Kusch. Erst am Freitag hatten sich Staatsanwaltschaft und Polizei auf Druck von Schwarz-Schill darauf verständigt, die Anforderungen an den bereits von Rot-Grün im Juni eingeführten Einsatz von Brechmitteln weiter zu lockern (taz berichtete). Deshalb kam es an diesem Wochenende gleich zu neun Maßnahmen dieser Art.
Der Schwarzafrikaner war Polizisten in der Danziger Straße aufgefallen, nachdem er seit September bereits mehrfach beim Dealen erwischt worden war. Er wurde in die UKE-Rechtsmedizin gebracht, wobei er laut Schill Widerstand leistete, sich zu Boden fallen ließ und schrie: „I will die“. Daraufhin sei er von vier Polizisten auf einem Stuhl „fixiert“ worden. Eine Ärztin habe zwei Mal vergeblich versucht, ihm das Brechmittel Ipecacuanha per Magensonde zu verabreichen. Erst beim dritten Versuch konnten dem 19-Jährigen 30 ml des „mexikanischen Sirups“ eingeflößt werden.
Der Mann fiel regungslos zu Boden. „Eigentlich keine ungewöhnliche Reaktion“, sagt Püschel, der höchstpersönlich in einem Gutachten zum Brechmitteleinsatz gegen das Votum der Ärztekammer eine Unbedenklichkeitserklärung erteilt hatte. „Aber dann sind Abläufe eingetreten, mit denen wir nicht gerechnet haben“, so Püschel. Die Gesichtsfarbe habe sich verändert, Atmung und Puls setzten aus. Zwei Notärzteteams des UKE und der Feuerwehr versuchten, den Mann zu reanimieren, erst nach 30 Minuten konnte er in die Intensivstation gebracht werden. Zu spät. Püschel: „Ein derartiger Vorfall ist mir bislang nicht bekannt.“
Obwohl die Ursache also unbekannt ist, der Mann gesund war und auch keine der 41 in seinem Magen gefundenen Drogenkügelchen für die Komplikationen verantwortlich ist, will der Senat weiter kotzen lassen. „Jede andere Entscheidung wäre ein Signal, dass die Strafverfolgung in Hamburg nicht mit der gebotenen Intensität durchgeführt wird“, behauptet Kusch. Außerdem sei bundesweit in 1000 Fällen nichts passiert, fügt Schill hinzu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen