: Fasten für den Staatshaushalt
Losing my Religion (not yet): Reformer aus Malaysia, Feministinnen aus Uganda und Menschenrechtler aus Chiapas debattierten bei einer Tagung im Haus der Kulturen der Welt über das Verhältnis von Religion und Menschenrechten
Die Religion ist nichts als der Schatten, den das Universum auf die menschliche Intelligenz wirft.“ Dieser Satz stammt von Victor Hugo, der in einer schwierigen Zeit der Umwälzungen, Mitte des 19. Jahrhunderts, den Glaubenseifer kritisierte. Gerade heute würden ihm viele zustimmen. Die jüngsten weltpolitischen Ereignisse machen alte Fragen aktueller denn je: Wie verträgt sich religiöses Beharren mit dem Fortschrittsglauben der zivilisatorisch-technologischen Moderne? Wie ist es um das Verhältnis zwischen partikularen Lebensformen und universalistischen Vorstellungen von „Gerechtigkeit“ und „Freiheit“ bestellt? Was bedeutet eigentlich „Säkularisierung“ in einer Epoche der kulturellen Ungleichzeitigkeiten?
Eine international besetzte Tagung im Haus der Kulturen der Welt unter dem Titel „Religion und Menschenrechte“ wollte am Wochenende etwas Licht ins Dunkel bringen. Arvind Sharma, Professor für Vergleichende Religionswissenschaften in Montreal, sprach in seiner Eröffnungsrede von einer „gewissen Ironie“, dass nach einem Jahrhundert der blutigen Auseinandersetzungen um weltliche Ideologien nun wieder die Religion eine destruktive Kraft entfalte. Eine „normative Schwelle“ fehle nicht zuletzt aufgrund der juridischen Defizite. So kranke Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte schon daran, dass die dort verankerte Religionsfreiheit durchaus unterschiedlich ausgelegt werden kann. Es bleibe strittig, ob sie aggressiven Bekehrungsdrang einschließe oder gerade davor schützen solle.
Einen Missionar der ganz besonderen Sorte hatte man mit Bacharuddin Jusuf Habibie, dem indonesischen Expräsidenten, auf das Podium geladen. Dort durfte der Suharto-Günstling und Liebling der deutschen Rüstungsindustrie ungehindert sein Credo einer „beschleunigten Evolution“ verbreiten, bei der die Religion in etwa die Rolle eines weichen Standortfaktors hat, der die Folgen des Modernisierungsschubs abfedern soll. In seinem kurzen Interregnum von 1998 hatte Habibie neben der Förderung von kostspieligen Hightech-Projekten seinen muslimischen Untertanen empfohlen, zweimal die Woche zu fasten, um den Staatshaushalt zu entlasten.
Gegen eine solche Techno-Religion nach Gutsherrenart setzte sich der sehr emphatische Religionsbegriff ab, den Jorge Santiago Santiago skizzierte. Der Menschenrechtler aus Chiapas sprach dem Religionsunterricht eine wichtige Rolle bei der Einübung sozialer Verhaltensweisen und dem Aufbau einer funktionierenden Zivilgesellschaft zu: „Durch den Glauben entsteht die Energie des Wandels, das Verstehen des ganzen Universums, die Verortung der Existenz und das Leben, das von einem Gefühl für Pflicht und Verantwortung geprägt wird.“ Für die teilweise geglückte Anerkennungspolitik der Zapatisten gilt jedoch, was Irene Ovonji-Odida, Juristin und Feministin aus Uganda, insgesamt als einen Haupttrend beschrieb: „Die Förderung bestimmter Interessen hängt entscheidend von der Fähigkeit einer Gruppe ab, ihre spezifische Benachteiligung auf die Tagesordnung zu setzen.“ Die Universalität der Menschenrechte sei „ein flüchtiges Konzept“ und unterliege allzu häufig aktuellen Machtkonstellationen.
Chandra Muzaffar, Reformer aus Malaysia, gab zu bedenken, dass der „westliche“ Fokus auf Rechtsgarantien schleichend den Blick darauf verstellt habe, dass der Begriff der menschlichen Würde auch „andere Dimensionen“ umfasse. Ebenso notwendig wie die Eindämmung klerikaler Eliten im Islam sei eine neue Ausbalancierung der christlichen Ethik. Indem die Aufklärung den Menschen zum „Maß aller Dinge“ erklärt habe, sei eine „Mentalität der Beherrschung“ erwachsen, die zum zerstörerischen Kapitalismus geführt habe. Die Rückbesinnung auf ganzheitliche Denkweisen könne vielleicht dazu beitragen, das „Ego ohne Beschränkung“ ein wenig zu bremsen.
Wie man allerdings etwas zu heftig auf die metaphysische Bremse tritt, hatte ein Mann aus dem Publikum schon tags zuvor demonstriert. Er beklagte die Missachtung von Parkverboten durch seine Mitmenschen, weshalb „diese neuen Werte der Globalisierung“ doch letztlich zum Scheitern verurteilt seien.
JAN ENGELMANN
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