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Gin, Milch und Corned Beef

Uraufführung von „in Earth“ der Hamburger Musiktheatergruppe opera silens  ■ Von Karin Liebe

Ein Bär tapst auf die Bühne. Auf einem Rasenstück liegt bereits bewegungslos eine Frau, eine andere sitzt neben einem Beet voller Kürbisse. Der Mann im Bärenkostüm schnippelt mit einer Nagelschere am Rasen herum, wischt sorgfältig die Kürbisse mit einem Tuch ab. Das dauert. Die Frauen, alle in einer Art steifer Gärtnerinnenmontur und Gummistiefeln, stehen derweil auf, laufen herum, gähnen.

Befremdlich stimmt das träge, zusammenhanglose Treiben auf der Kampnagel-Bühne. War in Earth nicht als Musiktheaterstück angekündigt? Tatsächlich, der Bärenmann klimpert nacheinander ein paar Takte auf drei rund um den Barockgarten aufgestellten Cembali. Dafür gibt es umso mehr Worte: Ein Mann im Römerkostüm rezitiert aus Shakespeares Julius Cäsar, drei Frauen lesen mit monotoner Stimme aus dem Textbuch. Allmählich wird klar: Wir sind Zeuge einer Theaterprobe. Und diese Probe ist von einer ganz enormen Lustlosigkeit geprägt.

Schade nur, dass dem Publikum dabei zunächst die Schaulust vergeht. Die Erwartungen waren hoch, denn aqua aqua aqua aqua, das letzte Musiktheaterstück der Hamburger Gruppe opera silens, überzeugte als originelle Barockoper. Auch bei in Earth ist die Barockmusik die eigentliche Hauptperson, doch vom Wasser zur Erde scheint den Künstlern die spielerische Leichtigkeit abhanden gekommen zu sein. Erneut dominieren Wiederholung und Reduktion als barocke Gestaltungsprinzipien, das gesprochene Wort nimmt aber zu großes Gewicht ein. Während die drei Gärtnerinnen reden und reden, wächst die Konfusion. Eine erzählt, wie sie den Regisseur auf einer Party bei Gin und Milch kennen gelernt hat. Die Zweite berichtet von der Trauerfeier für den Regisseur auf dem Heiligengeistfeld, bei der es Corned Beef und getrocknetes Basilikum zu essen gab. Und die Dritte schildert einen Autounfall, bei dem sie den schwer verletzten Regisseur mit Bonbons fütterte.

Erst als die drei Frauen zu Henry Purcells Trauer-Arie „When I'm Laid in Earth“ ansetzen, bekommt die verworrene Geschichte mit ihren drei verschiedenen Zeitebenen einen ungefähren Sinn. Dann nämlich schälen sich sukzessive aus dem chorischen Klagegesang drei verschiedene Tempi heraus, die jeweils ein Kontrabassist und ein mechanisches Cembalo aufnehmen. Parallel zur reduzierten Musik verlangsamen sich auch die Beweg-ungen der Mezzosoprane mit jedem erneuten Anheben der Arie. Eine der Frauen streicht sich immer fahriger durchs Haar, eine kratzt sich ausgiebiger, eine bückt sich immer tiefer zur Erde, wühlt darin herum und buddelt Pflanzen aus.

Diese sich viele Male wiederholende Trauersequenz, die von einem allmählichen Zurückkehren ins Alltagsleben zeugt, ist der wirklich fulminante Höhepunkt des Abends. Dagegen fällt die rätselhafte Geschichte um den toten Regisseur als bemühtes Konstrukt ab. Zum Schluss wird das pralle Leben gefeiert, für das die Erde genauso steht wie für den Tod: Bei einem fröhlichen Picknick auf dem Rasen pressen die Frauen zu Bachs Kantate „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“ Orangen aus, drapieren Weintrauben und Radieschen. Back to Earth.

nächste Vorstellungen: 14.–16. + 21.–23.12., 20 Uhr, Kampnagel

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