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„Das werdet ihr bezahlen!“

Ratlos, zornig, aber ohne Gegenwehr: wie die Anhänger des „Kalifen von Köln“ die Auflösung ihres Staates erleben

aus Köln PASCAL BEUCKER

Der Niehler Kirchweg in Köln-Nippes ist weiträumig abgesperrt. Hunderte Polizisten sichern den Ort, der bis heute ein selbst ernannter Staat im Staate war: den „Kalifatsstaat“ Metin Kaplans. Um sechs Uhr am Morgen war dem „Kalifen von Köln“ in seiner Düsseldorfer Zelle das Verbot seines islamistischen Verbandes mitgeteilt worden, kurz danach begann der polizeiliche Großeinsatz.

Ohne Widerstand öffneten die rund dreißig Gläubigen, die sich zum Morgengebet eingefunden hatten, den Beamten die schwere Eisentüre, die bis dahin ihr Reich vom Rest der Welt trennte – dass die Polizisten in ihren Stiefeln das Gotteshaus betreten, sorgt kurzzeitig für Verstimmungen.

Einige stehen immer noch vor ihrem Vereinszentrum und schauen zu, wie sich immer mehr Journalisten einfinden, um dem Ende ihres „Staates“ beizuwohnen. Im Inneren hat unterdessen die Räumung begonnen.

Alles, was nicht niet- und nagelfest ist, wird in große Kartons gepackt: Büromöbel, Computer, sogar das Brot der vereinseigenen Bäckerei wird sorgsam verpackt. Unzählige Umzugslastwagen warten darauf, sie abtransportieren zu können. Auch die auf dem Gelände geparkten Autos werden beschlagnahmt.

Nein, kommentieren wollen die umherstehenden Kaplan-Anhänger die Aktion nicht. Nur einer, Iman Ömer, ein junger Vorbeter, redet. Doch nicht vom Verbot und der Räumung – vom großen Islam spricht er. Und vom Paradies, in dem die Jungfrauen warten und niemand mehr zu arbeiten braucht.

Von der anderen Seite bis hin zur Neusser Straße ist der Kalifatsstaat nur schwer zu erkennen. Ein groteskes Ambiente: Eingeklemmt zwischen einem Karnevalsmarkt und den „Kölschen Bierstuben“ mit Schweinshaxen im Angebot befindet sich der von der Polizei stark gesicherte Eingang zu dem islamistischen Gottesstaat im Exil.

Eine große Bande des früheren Inhabers prangt über ihm: „M. Rupietta – Auspuff – Bremse – Stossdämpfer“. Darüber wehen zwei Fahnen des Kalifatstaats. Nicht mehr lange. Auch hier ist ein großer Möbelwagen vorgefahren. Etwa zehn Kaplan-Anhänger beobachten das Treiben.

Einer von ihnen ist Ismael Binyasar. Auf der Pressekonferenz des Kalifatsstaats Anfang November war er noch als Sprecher des Verbandes aufgetreten, hatte entschlossen erklärt, der Islam sei prinzipiell nicht mit der Demokratie vereinbar. Jetzt bleibt er schweigsam. Nur ein kurzer Satz entfährt Binyasar: „Ich sage nichts.“

Wie alle hier Versammelten. Ihre Stimmung ist bedrückt. Einer jedoch kann doch nicht länger schweigen. „Das werdet ihr bezahlen!“, ruft der Mann wutentbrannt in Richtung der Einsatzkräfte. Und noch einmal: „Das werdet ihr bezahlen!“ Er zeigt mit dem Finger in den Himmel. „Allah sieht alles!“

Die Polizisten und die Möbelpacker bleiben ruhig und ignorieren den Mann mit dem Koran in der Hand. Ein Beamter trägt einen Müllbeutel mit Lebensmitteln aus dem Gebäude. Aus der Tüte tropft Ayran, türkischer Trinkjogurt. „Scheiße“, murmelt der Polizist. Seine Kollegen grinsen.

Eine Mutter, die vorbeigeht, erklärt ihrer etwa 12-jährigen Tochter, was aus ihrer Sicht hier geschieht: „Das ist eine türkische Moschee, die wird aufgelöst.“

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