BUSH KÜNDIGT DEN ABM-VERTRAG, UM RAKETENABWEHR AUFZUBAUEN: Liebesgrüße aus Washington
George W. Bush macht Ernst. Die US-Regierung wird den ABM-Vertrag mit Moskau von 1972 kündigen, weil sie auf Biegen und Brechen ihr Raketenabwehrsystem MD durchsetzen will. Dafür opfert Washington die Grundlage der Rüstungskontrolle. Warum tut Bush das?
Aus US-Sicht stellt sich die Sache so dar: Der Kalte Krieg ist vorbei. Bis 1990 war das eigene Volk Teil im Spiel des atomaren Patts. Doch das ist seit dem Ende der Blöcke Geschichte. Jetzt kann die US-Regierung endlich wieder tun, was ihr Job ist: ihre Bürger vor möglichen Angriffen zu schützen. Das klingt ganz plausibel. Ist es aber nicht. Denn 1990 sind zwar die Blöcke untergegangen – die Erwartung, dass auf jeden Erst- ein Gegenschlag folgen kann, ist nach wie vor wirksam. Das MD-System soll Angriffe mit A-, B- und C-Waffen abwehren. Doch damit verblasst die gegenseitige Vernichtungsdrohung, die die Gefahr eines Atomkrieges bisher einhegte. In der Logik der atomaren Abschreckung gibt es keine Defensivwaffen.
Moskau dürfte all das wenig beunruhigen – Russland verfügt über genug Atomwaffen, um MD zu überwinden. Ganz anders stellt sich die Sache allerdings von China aus betrachtet dar. Peking verfügt nur über eine Handvoll Atomsprengköpfe – mit MD ist das Atom-Patt zwischen Washington und Peking aufgehoben. Gewiss, ein Atomkrieg der USA gegen China liegt jenseits aller Wahrscheinlichkeit. Doch in der Atomlogik reicht die vage Möglichkeit, um zu handeln. MD ist also nichts anderes als die ziemlich direkte Aufforderung an Peking, aufzurüsten. Wenn China neue Atomwaffen baut, dürften Pakistan und Indien dies kaum tatenlos mit ansehen. Ist die vage Aussicht, die USA etwas sicherer zu machen, das Risiko eines atomaren Rüstungswettlaufs in Asien wert?
MD ist eine ziemlich bizarre Idee: Man gibt x Milliarden Dollar für ein Waffensystem aus, das gar nicht funktioniert, wenn ein „Schurkenstaat“ wie Nordkorea nicht angreift. MD ist also ein neues Kapitel in der Atom-Bigotterie des Westens, insbesondere der USA. Die eigene Sicherheit wird zum Fetisch, der Effekt anderswo interessiert nicht. Das ist die Botschaft der Kündigung des ABM-Vertrages. STEFAN REINECKE
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