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Keine Richter der Justiz

Die Verlegung der Arbeits- und Sozialgerichte in die Justizbehörde könnte zum Verlust sozialer Kompetenzen führen  ■ Von Kai von Appen

„Das ist in anderen Bundesländern auch so geregelt“ – Justizbehördensprecherin Simone Käfer zeigt sich über die Skepsis aus juris-tischen Kreisen überrascht: „Wir denken, dass die Richterschaft der Sozial- und Arbeitsgerichte in der Justizbehörde besser aufgehoben ist.“ Im Eilverfahren hat Schwarz-Schill per Senatsdirektive die Sozial- und Arbeitsgerichte, das Landesarbeits- und das Landessozialgericht unter die Fittiche der Justizbehörde gestellt. In diesen Tagen wird das neue Gesetz formell verabschiedet, zum 1. Januar 2002 tritt es in Kraft. „Im Prinzip ändert sich nichts“, beteuert Käfer. Doch Radio Eriwan könnte bald grüßen: „Im Prinzip ja, aber ...“.

„Es hat schon Sinn gemacht, die Arbeitsgerichte bei der Behörde für Arbeit und die Sozialgerichte bei der Sozialbehörde anzusiedeln“, sagt Christian Lesmeister, Vizepräsident des Hamburger Arbeitsgerichtes und Presserichter für das Landesarbeitsgericht Hamburg. Seit 1946 ist es in Hamburg so der Fall, und auch die Zuständigkeit für das Bundesarbeits- und -sozialgericht liegt immer noch in der Hand des Ministers für Arbeits- und Sozialordnung, Walter Riester. „Wir sind von der Arbeitsverwaltung gut behandelt worden“, lobt Lesmeis-ter. Stets habe man dort „Verständnis für die Belange“ gezeigt. „Es gab politische Prioritäten, schließlich macht die Arbeitsgerichtsbarkeit auch Standortpolitik.“ Denn sowohl Unternehmen als auch Lohnabhängige und ihre Gewerkschaften hätten Interesse an zügigen Verfahren, um schnelle Rechtssicherheit zu bekommen.

Und jetzt? „Die Gefahr besteht, dass die Arbeitsgerichtsbarkeit als besondere Gerichtsbarkeit in der Justizbehörde untergebuttert wird“, befürchtet der Arbeitsrechtsexperte Klaus Bertelsmann. Die Arbeitsgerichte haben aufgrund ihrer personellen Ausstattung und der relativ kurzen Verfahrensdauer zurzeit einen guten Ruf, auch wenn das Verfahrensvolumen in den vergangenen Monaten um zehn Prozent gestiegen ist.

Ganz anders sieht es schon jetzt beim Sozial- und Landessozialgericht aus. „Es ist eine Katastophe, dass Verfahren um Arbeitslosengeld teilweise zweieinhalb Jahre dauern“, schimpft Rechtsanwalt Bertelsmann. Verfahren um Berufsunfähigkeitrenten dauerten über fünf Jahre. Die rot-grüne Vorgänger-Regierung wollte wenigs-tens ein bisschen Abhilfe schaffen und genehmigte den Sozialgerichten noch schnell drei zusätzliche Stellen. „Die sind so schlecht ausgestattet, denen kann man eigentlich nichts mehr wegnehmen“, glaubt Bertelsmann.

Den Arbeitsgerichten unter der Ägide der Justizbehörde schon eher, meint Peter Klenter, Teamchef bei der DGB-Rechtsschutz GmbH: „Eine kleine Einheit im großen Topf – dann gehen Einsparungen immer zuerst zu Lasten der kleinen Einheit.“ Die DGB-Rechtsschutz GmbH ist der größte Kunde an Hamburgs Arbeits- und Sozialgerichten. Klenter befürchtet aber nicht nur Qualitätseinbußen wegen Stellenstreichungen: „Arbeits- und Sozialrichter sind zwar auch Juristen, aber nicht nur“, betont er. „Im Sozialrecht geht es auch viel um medizinische Befunde, im Arbeitsrecht um arbeitsmarktpolitische Aspekte.“

Zudem stelle sich die Frage, ob die Notwendigkeit von Fort- und Weiterbildung der RichterInnen im „großen Topf“ die ausreichende Aufmerksamkeit findet. So habe gerade ein Seminar Ethnische Psychologie für ArbeitsrichterInnen stattgefunden, weil immer mehr AusländerInnen vor dem Arbeitsgericht klagen. „Das ist sehr positiv augfgenommen worden.“ Ob so etwas in Zukunft ausreichend gewährleistet werden kann, sei fraglich.

In die gleiche Kerbe schlägt auch Bertelsmann. Bislang seien Richterstellen bei Arbeits- und Sozialgerichten stets vorrangig mit fachlich speziell qualifizierten BewerberInnen besetzt worden. Wenn die Gerichtsbarkeit als ein Gesamtes gesehen werde, könnte schnell das Phänomen auftauchen, dass bei Beförderungstaus plötzlich einE AmtsrichterIn in eine Kammer des Landesarbeitsgerichts gesteckt wird.

Der Beschluss von Schwarz-Schill hat sich auf das Klima in den Arbeits- und Sozialgerichten bereits ausgewirkt. „Das wird natürlich allerots heftig diskutiert“, bestätigt Lesmeister dezent. Bertelsmann wird deutlicher. „Es sollte auch die Auswirkung auf Psyche und Selbstbewußtsein nicht unterschätzt werden werden.“ In der Arbeits- und Sozialbehörde hätten die RichterInnen eine besondere Stellung gehabt, in der Justizbehörde sind sie nun eine Gruppe von vielen. Bertelsmann: „Arbeits- und Sozialrichter fühlen sich aber nicht als Richter der Justiz, sondern als Leute des sozialen Systems.“ Und dafür hat Schwarz-Schill bekanntlich viel übrig.

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